RomArchive hat sich zum Ziel gesetzt, den Prozess der Dekonstruktion und Rekonstruktion der Geschichte, Künste und Kulturen von Sinti und Roma** durch Sinti und Roma selbst zu fördern. Es bedarf für die zukünftigen Generationen neuer Erzählungen über die Vergangenheit und Gegenwart.
RomArchive will dem säkularen strukturellen Rassismus, der zur antiziganistischen Darstellung der Identitäten, Künste und Kulturen von Sinti und Roma führte, wie auch der Hierarchie von Nicht-Roma-Perspektiven über Roma-Perspektiven auf dem Feld der Kultur entgegenwirken und ihn untergraben.
Die Präsentation und Zusammenstellung des Materials zeigt die gesamte Bandbreite unterschiedlicher Darstellungen von Roma und Sinti als Protagonisten**, Akteuren des Wandels, Überlebenden und Mitwirkenden an den Mehrheitsgesellschaften und –kulturen. Dadurch wird der ausschließlichen Darstellung von Sinti und Roma als Opfer entgegengewirkt.
RomArchive als Kulturprojekt reflektiert den politischen Kontext, in dem es sich befindet. Die Arbeit der Archivbereiche wird nicht als vollständige und repräsentative Forschungsarbeit verstanden, sondern als kuratierte Sammlung, die folgende vereinbarte Prinzipien und Leitlinien berücksichtigt:
- RomArchive leistet einen Beitrag zur kulturellen und intellektuellen Vielfalt Europas.
- RomArchive sorgt für die Sichtbarkeit der Kultur der Sinti und Roma, insbesondere in ihrer Selbstdarstellung, und trägt aktiv zu deren Wirkung und Ansehen bei. Es versteht die Geschichte, Sprache und Kulturen von Sinti und Roma als historische Güter, die es zu bewahren, zu vermitteln und nachfolgenden Generationen zu überliefern gilt.
- RomArchive garantiert die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung aller Menschen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion, sexueller Orientierung oder Behinderung. Nur in einem Klima gegenseitigen Respekts ist kreative und produktive Arbeit möglich.
- RomArchive garantiert Meinungsfreiheit, künstlerische Freiheit und wissenschaftliche Unabhängigkeit.
- RomArchive lehnt jede rassistische oder sexistische Position ab.
- Die Kurator_innen verpflichten sich in ihrer Tätigkeit zur Sicherung der Qualitätsstandards sowie zu ehrlicher und korrekter Interaktion mit den Beitragenden. Kein_e Künstler_in darf gegen ihren/seinen erklärten Willen in das Archiv aufgenommen werden; bei der Online-Publikation sind Persönlichkeits- und Autorenrechte (soweit bekannt) sowie Nutzungs- und Urheberrechte strikt zu beachten.
- Die Kurator_innen verpflichten sich weiterhin, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen nicht für Zwecke nutzbar zu machen, die den Zielen des Archivs widersprechen oder sie zum persönlichen Vorteil oder Gewinn auszunutzen.
- RomArchive verpflichtet sich der »Romani Ownership« sowie der vollen Partizipation von Sinti und Roma.
- Auswahlkriterium für Aufnahme in das Archiv ist die künstlerische Qualität oder kulturgeschichtliche Bedeutung eines Artefakts.
- Sollten stereotype oder andere verletztende Darstellungen*** von Sinti und Roma im Archiv präsentiert werden, dann nur wenn ihr Kontext thematisiert und der Inhalt kontextualisert oder dekonstruiert wird, um weitere Verletzung und Schaden zu vermeiden. Dies gilt auch für die künstlerische Produktion von Sinti und Roma.
- RomArchive richtet sich grundsätzlich an eine breite Öffentlichkeit und beachtet einen niedrigschwelligen Zugang. Der Zugang zum Archiv ist für Nutzer kostenfrei.
- RomArchive ist an keine politischen Parteien oder Verbände gebunden und respektiert das Prinzip der Transparenz in all seinen Aktivitäten.
- RomArchive sammelt und präsentiert Artefakte und Narrative in den originalen unterschiedlichen Dialekten von Romanes. Wenn Material ins Romanes übersetzt wird, wird eine internationale akademische Variante genutzt.
[*] Diese Ethischen Richtlinien bestimmen den Rahmen und die Prinzipien für das gesamte Projekt in seinen drei zentralen Bereichen: Sammlungspolitik, Zugangspolitik und Repräsentationspolitik. Einige dieser ethischen Richtlinien sind in dem Dokument »Sammlungspolitik« weiter ausgearbeitet. Fragen zu Kommunikation, Rechten und Drittmittelakquise sind in den Verträgen mit den Kurator_innen geregelt.
[**] Der Begriff »Sinti und Roma« bezeichnet die große Vielfalt von Gruppen, die bei RomArchive abgebildet werden: einerseits a) Roma, Sinti/Manush, Calé, Kaale, Romanichals, Boyash/Rudari; b) Balkanstaaten: Ägypter_innen und Ashkali; c) östliche Gruppen: Dom, Lom und Abdal; andererseits Gruppen wie Travellers, Jenische und Bevölkerungsgruppen die unter den Verwaltungsbegriff »Gens du voyage« fallen, sowie Personen, die sich selbst als Gypsies identifizieren.
[***] Im Umgang mit diskriminierenden oder stereotypen Repräsentationen wird zwischen drei Formen unterschieden: offener und subjektiv intendierter Diskriminierung; fahrlässiger, unbewusster oder bewusster Gebrauch von Stereotypen, bewusster (riskanter, provokativer) künstlerischer Umgang mit Rassismus und Stereotypen.
21. März 2017