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»Das ist nämlich ein trauriges Leben, wenn man keine Papiere hat«

Anton Minster | »Das ist nämlich ein trauriges Leben, wenn man keine Papiere hat« | Selbstbeweis | Schweizerische Eidgenossenschaft | 27. Februar 1942 | voi_00037

Rights held by: Anton Minster | Provided by: Federal Department of Interiour – Swiss Federal Archives (Bern/Switzerland) | Archived under: E4264 #1988-2 #6304* / P036259 / Minster, Karl / 15.05.1892 / 1934-1969

Naters, den 27[.] Februar 1942

[unleserlich]
Möchte Sie bit[t]en[,] mir einen Ausweis auszustellen. Wir sind ja schon 14 Jahre in der Schweiz und wir müssen ja in der Schweiz bleiben, darum möchte ich einmal Ausweis[p]apiere, wenn ich einmal ein Patent will oder sonst Arbeit[,] muss ich doch Papiere haben, ich kann doch nicht immer beim Vater bleiben, ich bin 27 Jahre a[l]t, alt genug für mein Leben selbst zu verdienen, aber [da]für brauche ich Papiere, sonst bekom[m]e ich keine Arbeit. Sehr geehrte Herren[,] Sie wissen ja auch[,] dass es nicht meine Schuld ist[,] dass ich [h]eimatlos bin, und ich werde gerne alle Monate etwas Geld deponieren, wie die Familie Zozert im K[anton] Bern auch muss, wenn ich nur einmal Papiere bekom[m]e[.] Ich würde auch gerne Milit[ä]rdi[e]nst machen, das ist nämlich ein trauriges Leben[,] wenn man keine Papiere u[nd] nichts hat.
Ich hoffe[,] gee[h]rte Herren[,] Sie verstehen mich.
Senden Sie mir bitte die Antwort postlagernd Naters Wallis[.]
Hochachtungsvoll
Anton Minster[,] geboren 1915 am 15[.] Juni.
Das Walliser Patent ist der einzige [A]usweis, [den] ich habe.

Naters, 27. Februari 1942 berš

[bidrabardo]
Mangav te rodav tumendar te den ma jekh personalno dokumento. Amen sam 14 berša ko Švajco thaj musaj te ačhovas ko Švajco, kodoleske mangav te ovel ma personalno lil, kana varesavo dokumento trubul vaj buti, musaj si mange lila te oven ma, me našti me dadesa sakana te bešav, me sem 27 beršengo, phuro dosta vaš muro trajo korkore muro ajluko te lav, ba akaleske trubun ma dokumentora, bi lengo našti te kerav buti. Drago Raj, Tumen džanen, kaj naj miri doš so sem bithemutno, thaj mangav te dav varesave lovore sako čhon, sar kaj i familija Zozert ko kantono Bern musaj si te kerel, numa te šaj lav me dokumentora. Vi ki armija mangav te džav, kana naj tu dokumentora vaj varso aver, kodo si jekh bibaxtalo trajo.
Paćav, drago Raj, kaj haćaren ma.
Bičhalen mange, rugiv tumen, o nevipe pe postako than Naters Vallis.
Uče respektosa,
Anton Minster, bijando po 15. Juno 1915 berš.
O Vallisesko dokumento si numa jekhutno personalno lil so si ma.

Naters, 27 February 1942

[illegible]
I would like to request that you issue me with an identification document. We’ve been in Switzerland for 14 years now and we have to stay in Switzerland, therefore I would like to have identification papers, if I want a permit or otherwise work, then I’ve got to have papers, I can’t stay with my father forever, I am 27, old enough to earn my own living, but to do so I need papers, otherwise I won’t get any work. Dear Sir, you also know that it is not my fault that I have no home, and I would willingly deposit some money every month, like the family Zozert in the Canton of Bern, if I were only to receive papers for once. I would also like to do military service, it is namely a sad life if you don’t have any papers or anything else.
I hope, dear Sir, that you understand me.
Please send me the answer poste restante to Naters Valais.
Respectfully yours,
Anton Minster, born 1915 on 15 June.
The Valais permit is the only identification I have.

Credits

Rights held by: Anton Minster | Provided by: Federal Department of Interiour – Swiss Federal Archives (Bern/Switzerland) | Archived under: E4264 #1988-2 #6304* / P036259 / Minster, Karl / 15.05.1892 / 1934-1969

Playlist

Lesung des Selbstzeugnisses von Anton Minster
1.07 min
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Lesung des Selbstzeugnisses von Anton Minster | Spoken word | Deutschland | 2018 | voi_00097
DE

Kontextualisierung

Jahrzehntelanger Kampf um ein Heimatrecht

Anhand des Briefes von Anton Minster lässt sich die bedrängte Lage der Familie, zu der neben dem 1892 geborenen Vater Carlo Minster noch fünf weitere zwischen 1911 und 1926 geborene Geschwister zählen, erahnen. 1929 war der Witwer Carlo Minster mit seinen sechs Kindern von italienischen Behörden in die Schweiz abgeschoben worden. Anfang April 1930 schob die Schweiz die Familie wieder nach Italien ab, wo sie von der italienischen Polizei ergriffen, zehn Tage in Domodossola eingesperrt und von wo sie bei Nacht und Nebel über den schneebedeckten Simplonpass erneut über die Schweizer Grenze getrieben wurde. Schließlich einigten sich Italien und die Schweiz darauf, die Familie in der Schweiz zu belassen, wenn Italien im Gegenzug auf weitere Abschiebungen verzichten würde.

Der Familie wurden kurzerhand alle Papiere weggenommen. Seitdem bemühte sich Carlo Minster darum, durch regelmäßige, zum Teil mithilfe von Rechtsanwälten eingereichte Eingaben, Schweizer Pässe zu erhalten. Doch kein Kanton wollte die »Heimatlosen« aufnehmen. Auch das Bestreiten des Lebensunterhaltes – mit Korb- und Schirmflicken oder als Musiker – gestaltete sich dadurch schwierig. Carlo Minster schrieb im Januar 1936: »Ehrlich & redlich verdiene ich meinen Lebensunterhalt & doch sieht man mich mit scheelen Augen an, sobald man [von] mir die Papiere verlangt & ich keine vorweisen kann.«

Dank seiner Hartnäckigkeit gelang es Carlo Minster, dass er mit der Familie in der Schweiz bleiben und damit einer Verfolgung durch das NS-Regime oder italienische Faschist_innen entgehen konnte. Einen etwas gesicherteren Status, wie ihn die dem Kanton Bern zugewiesene Familie Zozerd gegen verschiedene Auflagen erhielt, erreichte die Familie erst 1943 mit der Zuweisung zum Kanton Wallis. Dort sollen die Männer bis Kriegsende zu Zwangsarbeiten herangezogen worden sein. Erst die Enkel von Carlo Minster erlangten das Schweizer Bürgerrecht.

Karola Fings (2017)

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Lesung des Selbstzeugnisses von Anton Minster
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Lesung des Selbstzeugnisses von Anton Minster | Spoken word | Deutschland | 2018 | voi_00097
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Details

übersetzer Titel
»Kana naj tu dokumentura, kodo si jekh bibaxtalo trajo«
übersetzer Titel
»It really is a sad life if you don’t have any papers«
übersetzer Titel
‘It really is a sad life if you don’t have any papers’
Produktion
27. Februar 1942
Credits
Produktionsstab
  • Anton Minster (Autor_in) (Naters, Schweizerische Eidgenossenschaft)
Objekttyp
Material
Technik
Objektnummer
voi_00037

Archivbereich

Verwandte Personen und Begriffe

Personen Carlo Minster, Themen Abschiebung, Italien, Polizei, Polizeihaft, Domodossola, Zwangsarbeit, Periode 1933 - 1945