Keine Anteilnahme für die Überlebenden
Im November 1945 wandte sich der 1874 in Amsterdam geborene Petrus Johannes Vos an den Bürgermeister der Gemeinde Zütphen, um in Erfahrung zu bringen, ob dort etwas über den Verbleib seiner Tochter und deren Familie bekannt war. Wenig später erhielt er seinen eigenen Brief zurück. Das Gemeindeamt hatte auf dem Briefbogen folgende Antwort getippt: Man habe die in der Laarstraße 85 wohnhaft gewesenen Personen aufgefordert, im Gemeindeamt zu erscheinen, doch die Aufforderung sei als unzustellbar zurückgekommen. Herr Vos wurde auf eine »in einiger Zeit« stattfindende Kontrolle des Bevölkerungsregisters vertröstet.
Was mit den Angehörigen geschehen war, darüber blieb die Familie sehr lange in Ungewissheit. Jacoba Weisz (geboren 1916) war mit ihrem Mann Johannes (1914) und ihren Kindern Augusta (1939), Johanna (1941) und Emile (Juni 1943) am 19. Mai 1944 über das Lager Westerbork in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert worden. Dort starben Jacoba Weisz und die Kinder; vermutlich wurden sie in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944, als das »Zigeunerlager« in Birkenau durch die Ermordung aller Insass_innen aufgelöst wurde, in den Gaskammern ermordet. Auch Johannes Weisz überlebte nicht. Er wurde in Birkenau zur Zwangsarbeit selektiert, am 3. August 1944 in das Konzentrationslager Buchenwald und von dort in das Konzentrationslager Mittelbau-Dora überstellt, wo er am 13. November 1944 im Außenlager Ellrich-Juliushütte starb.
Geblieben war Petrus Vos nur ein Enkelkind: der älteste Sohn von Jacoba und Johannes Weisz, Johan Weisz, genannt Zoni. Der 1937 geborene Zoni hatte sich während der Razzia im Mai 1944 nicht in Zütphen aufgehalten, sondern sich bei einer Tante versteckt. Als auch er deportiert werden sollte, gelang ihm mithilfe eines niederländischen Polizisten die Flucht, er versteckte sich zunächst in Wäldern und bei Bauern, bis er sich zu seinen Großeltern durchschlagen konnte.
Die Art und Weise, wie die Gemeinde Zütphen auf die Anfrage von Petrus Vos reagierte, ist durchaus typisch für das Verhalten der niederländischen Gesellschaft nach 1945. Den Verlust des Zuhauses sowie der materiellen Güter, die psychischen und physischen Folgen der eigenen Verfolgung und die tiefe Trauer um ihre Angehörigen mussten die Überlebenden des Völkermords alleine bewältigen. Erst im Dezember 1948 gab es eine amtliche Mitteilung über den Tod von Johannes Weisz. Für die übrigen Angehörigen fehlt sie bis heute.