Schellenberg 30. I. 46
Werte Schwester Oberin!
[Ich habe] Ihr erschütterndes Schreiben erhalten. Ich weiß nicht, wie ich mich [ausdrücken] soll, vor so viel Güte fehlen mir [die] Worte. Eine Mutter konnte an den Kindern nicht anders handeln wie Sie & Frl. Lehrerin. Ich möchte Ihnen noch nachträglich danken, daß Sie all den Kindern den Abschied so leicht wie möglich machten in dieser schweren Stunde, wo die meisten in [i]hren Tod fuhren.
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Bitte schreiben Sie mir doch, wie benahmen sich meine Kinder, als sie Abschied nehmen mussten. Bitte, [b]itte verschweigen Sie mir nichts. Mir wurde im Mai kurz nach Ihrem Schreiben von der Polizei mündlich mitgeteilt, daß sich meine 4 Kinder in Auschwitz befänden. Ich fragte sie: [»]Was wollen Sie denn noch von meinen armen Kindern[?«] Die Antwort [war] kurz: [»]Vernichten[«]. Dann wurde ich verwarnt, mich ruhig zu verhalten & keine Annäherungsversuche zu unternehmen, andernfalls müsste man mich & mein jüngstes Kind aus der 1. Ehe auch in ein K.Z.L. [= Konzentrationslager]
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überweisen, da wir ja auch nicht arisch seien. Ich musste 12x unterschreiben, für die Unfruchtbarmachung für mich & mein Kind Maria. Nach Geburt meines jüngsten Kindes Ghünter Pfaus geb. 23. III. 45 wurde ich als Wöchnerin v[on] 14 Tagen verhaftet und in das Gesundheitsamt geführt in Berchtesgaden. Aber da ich noch mein Kind stillte & weil Ghünterle bei mir [war], durfte ich wieder nach Hause. Dann ging der Krieg zu Ende und das [war] meine Rettung. Aber von meinen Kindern habe ich nie etwas erfahren können, jetzt fehlt jede Spur. Wenn man dann
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die Be[r]ichte über Auschwitz, Belsen & (die) anderen K.Z.L. [= Konzentrationslager] lie[s]t, dann wundere ich mich oft, daß ich noch nicht in ein Irrenhaus eingeliefert wurde. Ich frage mich oft, warum ließ unser Vater im Himmel dies alle[s] zu. Was taten die armen Kinder denn, die von der Mutter gerissen wurden, und dann später von Ihnen, wo sie es gut hatten. Aber trotz allem hoffe ich noch, meine Kinder wi[e]der zu finden. Bitte hoffen & beten Sie mit mir, damit ich endlich Gewissheit
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habe. Gott stehe mir bei, daß ich auch di[e]ses noch ertrage, wenn für mich auch die furchtbarste Wahrheit offenbar wird. Ich danke Ihnen herzlich für den Fingerzeig. Ich habe an Familie Siebig sofort geschrieben. Ich werde Sie immer auf dem Laufenden halten. Es grüßt Sie & Frl. Lehrerin Ihre Franziska Kurz.