Als der Feminismus der Rom_nja ins Theater kam
Es dürfte nicht allzu oft vorkommen, dass ein einziger hinzugefügter Buchstabe einen Titel so sehr verändert, wie dies bei der sehr erfolgreichen und einflussreichen Show der feministischen Theaterkompanie Giuvlipen (»Feminismus« auf Romanes) aus Bukarest geschah: »Gadjo Dildo« (2015). Ein »d« reichte aus, und der Titel verwandelte sich auf überraschende, poetische und politische Weise in eine sarkastische Anspielung auf Tony Gatlifs Film »Gadjo Dilo« (1997). Unter der Leitung von Mihai Lukacs verkörpern die Schauspielerinnen Mihaela Drăgan, Zita Moldovan und Elena Dumincă drei weibliche Archetypen. Auf ironische Weise zeigen sie, wie sehr die Romnja unter den Sehnsüchten, den Geistern, dem Verlangen und den Projektionen im Innern der vergifteten Seele der Gesellschaft zu leiden haben. Die Zeichen des Geheimnisvollen, des Exotismus, der monströsen Stereotypen, der Übersexualisierung und der Ausgrenzung werden ohne Tabus dargestellt und als eine Last verstanden, von der es sich zu befreien gilt. Der Schauspieler und Choreograf Paul Dunca präsentiert in seiner Aufgabe als Zeremonienmeister die Charaktere von Sidonia, Stela und Vanessa, die in einer Art Musical und Kabarett-Show voller Übertreibungen und Provokationen die vielfältigen Facetten der Neurosen eines Gadjo-Manns (also eines Nicht-Rom) bezüglich der Roma-Weiblichkeit perfekt darstellen.
Die Kritik in »Gadjo Dildo« ist unübersehbar. In einer Welt, die von der gewaltsamen Macht des Verlangens der Gadjo gekennzeichnet ist, befreien sich die Frauen auf revolutionäre Weise aus dem Gefängnis, das die Männer um sie herum errichten wollen. Sidonia, Stela und Vanessa inszenieren nicht nur die Rätsel, die Phantasien und die rassistischen Selbstgespräche, die ihr Leben so sehr belasten, sondern sie setzen sich mit diesen auseinander, stellen sich ihnen und zerstören sie schließlich mitleidslos. Giuvlipen zielt darauf, die Mythen, Karikaturen und archaischen rassistischen Romantizismen der »Zigeuner-Erfahrung« zu zerstören – und damit jenes Konstrukt, das auf fast krankhafte, verzweifelte Weise von den Anhänger_innen der verzerrten Vorstellungen von Magie, Verrücktheit und Schamlosigkeit, die angeblich Teil der »Zigeuner-Identität« sind und sich symbolisch im Bild der Romnja akkumulieren, immer wieder reanimiert wird. Die Musik von Ion din Dorobanți und die Kostüme von Diana Bobina tragen zum Gelingen dieser Kabarett-Show bei, die sich nicht davor scheut, die Konflikte, mit denen sich die Künstler_innen konfrontiert sehen, darzustellen: Einerseits wird offen Kritik am herrschenden System ausgeübt, andererseits hinterfragt man aber auch die Erwartungen, die die Roma-Männer an ihre Mütter, Schwestern, Töchter und Lebensgefährtinnen haben. Die kulturelle Erpressung, die die Männer der Gemeinschaft ausüben, um die Unterwerfung der Frauen zu überspielen, wird als eine perverse Form der innergemeinschaftlichen patriarchalischen Struktur entlarvt. »Gadjo Dildo« hinterfragt die falschen Grundlagen des heterosexuellen Regimes und der angeblich traditionellen Form der Ehe. Gleichzeitig will das Stück die bestehenden Grenzen innerhalb des Widerstands der Romanja aufzeigen und zerstören, um diese spürbar stärken zu können. Feminismus, Anti-Rassismus, sexuelle Andersartigkeit und Dramaturgie vereinen sich zu dem, was Claudia Ciobanu »die Avantgarde der Roma-Revolution« nennt: »ein kämpferischer Widerstand – mittels Kunst und Aktivismus – nach Jahren der Unterdrückung«.
Quelle
https://www.reuters.com/article/us-romania-women-theatre/romanias-roma-rise-up-with-revolutionary-theater-idUSKCN1AX16I (zuletzt aufgerufen am 11.1.2018)