Liebe Banetla, komme endlich nach so langer Zeit dazu[,] an [dich] ein paar Zeilen zu schreiben. Ich hätte dir schon eh[e]r geschrieben, aber hier wird nur Schreiberlaubnis an ganz nahe Verwandte so wie Bruder[,] Mutter oder Vater erteilt. [N]un hilft mir ein ganz guter Bekannter, dass ich an [dich] schreiben kann. [M]uss dir mitteilen, dass meine beiden kleinsten Kinder gestorben sind und deine Pakete habe ich alle erhalten, wofür ich dir ganz besonders danke. [L]iebe Banetla, w[e]nn du kein Geld von meinem Geld hast[,] so verkaufe du nach und nach die Sachen, damit es dir nicht so schwerfällt, uns Pakete zu schicken. [B]loß mein Sa[x]ophon behäl[t]st du bis zuletzt. [V]ielleicht kann ich es doch noch einmal benutzen. [U]nd wenn alles weg ist, dann verkaufe es auch. Liebe Banetla, w[e]nn du uns wieder etwas schickst, dann lege doch etwas Lebertran, Hustensaft und ein pa[a]r Tabletten Vitamin C mit rein für meine Kinder und vielleicht, wenn es möglich ist, ein bisschen Waschpulver und ein Mittel für die Krätze, das Beste ist Mitigahl. Liebe Banetla, sei doch bitte so gut und benachrichtige die kleine Racklie, die bei uns immer zu Hause verkehrt hat. [V]ielleicht schickt die uns auch etwas. [I]hre Adresse ist Margot Mehl Berlin O[sten] Löwestr[aße] 25. [U]nd wenn es eine Kleinigkeit ist, hier hilft es uns sehr. [S]age ihr, dass wir nicht schreiben dürfen, sonst hätten wir schon längst geschrieben. [A]uch dem Schweino seine Chali könnt ihr deswegen anrufen, die Telefonnummer ist 612151 (Geschäft), 727121 (privat), und du verlangst Fräulein Gerda Becker. [D]u kannst ihr alles sagen, vielleicht schickt ihm die etwas. Liebe Banetla, du kannst öfter schreiben, bloß wir nicht. [T]eile mal mit, wie es meiner Schwester geht. [W]enn du schreibst, dann schreibe an [die Adresse des] alten Gadscho [Nicht-Sinto], der [auf dem] Absender [steht]. Der gibt uns dann den Brief. [W]eiter nichts Neues. Viele Grüße an Dich von Kinkel, Oskar, Hutschel, Tannemann nebst Familien. Es grüßt auch alle Weiskopf und Raupa nebst Kindern. Extra Gruß von Baro Naßlepin, Elenta und Marepin. [A]lso, wenn du schreibst, dann schreibe bitte an die Adresse von de[m] Absender, der gibt uns den Brief. [S]chicke bitte ein pa[a]r Gitarrensaiten und Saxophonblätter mit. [N]och mal vielen Dank für die Pakete und vergesst uns nicht. [W]ir werden alles wiedergutmachen, wenn uns der liebe Gott noch mal sollte rausbringen. [W]ir wünschen euch noch alles Gute. Liebe Banetla, schreiben brauchst du an den Gadscho nicht mehr, weil er nicht mehr dazu kommt[,] uns den Brief zu geben. [S]chreibe lieber an uns ins Lager, die Adresse weißt du ja.
»Große Krankheit, Elend und Mord«
Dear Banetla, finally, after such a long time, I’ve got a chance to write you a few lines. I would’ve written to you earlier but here permission to write is given only for letters to very close relatives like brother, mother, or father. Now a good acquaintance is helping me to write to you. I have to tell you that both of my youngest children have died and I’ve received all your packages, thank you very much. Dear Banetla, if you don’t have any of my money left, sell the things bit by bit, so that it’s not so difficult for you to send us packages. Just hold onto my saxophone for as long as possible. Maybe I’ll be able to use it again sometime, after all. And when everything’s gone, then sell it as well. Dear Banetla, when you send us something again, then please put in cod liver oil, cough syrup and a few vitamin C tablets for my children, and perhaps, if possible, a bit of washing powder and something against scabies, Mitigahl is best. Dear Banetla, be a treasure and tell little Racklie, who always came around to our place. Perhaps she’ll also send us something. Her address is Margot Mehl, Berlin East, Löwestraße 25. And even if it’s only something small, it helps us a great deal here. Tell her that we’re not allowed to write, otherwise we’d have written by now. You could also call Schweino’s Chali, the number is 612151 (business), 727121 (private), and ask for Miss Gerda Becker. You can tell her everything, perhaps she’ll send him something. Dear Banetla, you can write more often, only we can’t. Let me know how my sister’s doing. When you write, then write to old Gadscho, whose address is given as sender. He’ll give us the letter. Otherwise nothing’s changed. Greetings from Kinkel, Oskar, Hutschel, Tannemann, along with their families. Everyone also sends greetings to Weiskopf and Raupa, along with the children. Special greetings from Baro Naßlepin, Elenta, and Marepin. So, when you write, please write to the address of the sender, he’ll give us the letter. Please send a couple of guitar strings and saxophone reeds. Thank you so much again for the packages and don’t forget us. We’ll make up for it, should the dear Lord ever get us out of here. We wish you all the very best. Dear Banetla, you don’t need to write to Gadscho anymore because he can’t get around to giving us the letter. Write to us in the camp instead, you know the address.
Drago Banetla, pali lungo vrama isi man šajipe te hramosarav tuke nekobor alava. Me hramosaravas tuke inke angleder, numa akate delaspe šajipe te hramonpe lila numa pe maj paše familijake džene, sar so si phral, daj vaj dad. Akana jekh pindžardo akatar ažutisarel man te hramov tuke. Musaj te mothovav tuke kaj e solduj mire majcikne čhavorre mule, me lijem ćire bičhalde paketora, palikerav tuke but, but. Drago Banetla, te na ačhile tuke kotar me love, bikin e šeja cera po cera, ma te ovas tuke pharipe te bičhales amenge paketora. Numa, ma bikin, arakh miro saksofono kozom so šaj majlungeste. Šaj me ka lav oles palem ko vasta varekana kana sa akava ka nakhel. Numa kana khanči naj te ačhel, bikin thaj vi oles. Drago Banetla, kana šaj bičhal amenge palem vareso, thaj akava drom čhuv andre e mačhesko zet, drab vaš o xasavipe, thaj nekobor hapja vitamino C mire čhavorrenge, te šaj cera praxo vaš e šeja, vi vareso pala o xandžope, o Mitigahl iljači si majlačho. Drago Banetla, ov mange miro lačhipe thaj phen ki tikni Racklie, voj so sakana avelas ko amaro kher; te šaj bičhalel amenge vareso. Olaki adresa si ki Margot Mehl, Berlin East, Löwestraße 25. Te si vi vareso cikno kotor, amenge kodo ka ovel mišto, ka ažutil amen but. Vakar olake kaj amenge na den akate te hramosaras, te šaj amen ka hramosaras lil vi olake. Tu šaj te des muj ko Schweinesko, Chali, o numero si 612151 (bućako), 727121 (privatno), thaj rode e rani Gerda Becker. Olake šaj sa te phenes, voj šaj vareso ka bičhalel. Drago Banetla, tu šaj te hramos amenge buteder, amen našti. Phen mange sar si muri phej. Kana tu hramos, hramosar ko phuro Gadžo kaski adresa si dendi sar lilesko bičhalutno. Vov ka del amenge o lil. Aver khanči naj nevo. But baxtarina tuke, kotar o Kinkel, Oskar, Hutschel, Tannemann, kethanes olengere familijenca. Savorre bičhalena selami dži ko Weiskopf thaj i Raupa, kethanes e čhavorenca. Baro selami kotar o Baro Naßlepin, Elenta, thaj Marepin. Kana ka ramosares rugiv tut, ramosar pe bičhalneski adresa, vov ka del amenge o lil. Rugiv tut bičhal mange thava vaš i gitara thaj saksofoneske kotora. Palikerav tuke palem but vaš e paketora, thaj kaj ni bistardan amen. Amen ka irisaras tuke sa so kerdan amenge, thaj o drago Devel nekana ka ikalel amen akatar. Mangas tuke sa majlačhes. Drago Banetla, buteder či trubul te ramosares ko Gadžo soske vov duteder našti te avel te anel amenge e lila. Pe kodo than hramosar amenge ko Lager, tu džanes i adresa.
Credits
Rights held by: Margarete Bamberger | Provided by: Lamuv Verlag – Publishing House | Published by: Anita Geigges & Bernhard W. Wette (Ed.). Gypsies Today – Persecution and Discrimination in the Federal Republic of Germany [Zigeuner heute – Verfolgung und Diskriminierung in der BRD]. Lamuv Verlag 1979. Page 271.
Kontextualisierung
Ein Kassiber aus Auschwitz
Das Original dieses Briefes ist verschollen. Nur dank einer Publikation aus dem Jahr 1979 sind eine Seite und eine Abschrift des Briefes überliefert. Dieser Brief wurde aus dem »Zigeunerlager« in Auschwitz-Birkenau herausgeschmuggelt und von Margarete Bamberger, geboren 1918, geschrieben. Sie war mit ihrem Mann Willi Bamberger und ihren drei Kindern nach Auschwitz deportiert worden.
Der vermutlich zwischen dem Frühjahr und dem Herbst 1943 an ihre in Berlin verbliebene Schwester Martha Bamberger, genannt Banetla, geschriebene Brief zeugt von der großen Not, die in dem Lager herrschte: Von den rund 19.000 Menschen, die seit dem 26. Februar 1943 bis Ende 1943 in dem Lagerabschnitt BIIe eingepfercht worden waren, waren bereits 70 Prozent gestorben. Sie fielen vor allem der Gewalt der SS-Männer und SS-Ärzte, dem Hunger oder Krankheiten zum Opfer, die aufgrund der räumlichen Enge und der Unterversorgung grassierten. In dieser Situation war es überlebenswichtig, Pakete von außerhalb zu erhalten. Neben konkreten Wünschen äußert die Absenderin auch Tipps für Vorsichtsmaßnahmen und informiert über ihre Situation, zumeist offen, etwa über den Tod ihrer Kinder. Der Brief enthält aber auch eine versteckte Botschaft auf Romanes. Hinter dem Satz »Extra Gruß von Baro Naßlepin, Elenta und Marepin« verbirgt sich der Hinweis auf »Große Krankheit, Elend und Mord«.
Margarete und Willi Bamberger haben überlebt, ihre Kinder starben in Auschwitz.
Details
- Perjan Wirges (Sprecher Deutsch)
- xident (Produktionsfirma)
- Tanya Ury (Sprecher Englisch)
- Perjan Wirges (Sprecher Romanes)
- Margarete Bamberger (Autor_in) (Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, Deutsches Reich)