Die Handlung von Matéo Maximoffs historischem Abenteuerroman findet im Kontext der Versklavung der Rom_nja in Rumänien statt, die dort seit ihrem ersten dokumentierten Erscheinen im 14. Jahrhundert bis zur schrittweisen Abschaffung zwischen 1855 und 1864 bestand (Achim 2004, Bogdal 2014, Necula 2012).
Der Roman um den Helden Isvan baut auf dem familiär tradierten Wissen über Maximoffs Urgroßvater auf, der unmittelbar nach der Befreiung aus der Sklaverei 1855 mit seiner Gruppe der Kalderaš aus Rumänien nach Russland ausgewandert war, von wo aus Teile der Familie kurz vor der Russischen Revolution nach Süd- und Südosteuropa emigrierten.
In der Tradition des Divano, des gemeinschaftlichen Erörterns erlebter Geschichten, wurden in Kalderaš-Familien die Erinnerungen an bedeutsame Erlebnisse aufrechterhalten. Der Rückgriff auf diese intergenerationell tradierten Erinnerungen ist ein wiederkehrendes Element in Maximoffs Romanen.
Im ersten Romanteil – »Les esclaves« (›Die Sklaven‹) – entwickelt sich ein Drama aus Eifersucht, Intrigen und Gewalt um die schöne Romni Lena, in dessen Verlauf der überdurchschnittlich gebildete Protagonist Isvan, der verschlagene Aufseher Yon und der dekadente, skrupellose Woiwodensohn Dimitro einander bis aufs Blut bekämpfen.
Zu Unrecht zum Tode verurteilt muss Isvan schließlich fliehen, um sich im zweiten Teil – »Les hors-la-loi« – jenen »Gesetzlosen« anzuschließen, die in den Bergen eine geheime Parallelwelt erschaffen haben, von der aus sie als Partisan_innen für die Freiheit der versklavten Rom_nja kämpfen.
Im dritten Teil – »Le prix de la liberté« – entfaltet sich Isvans Heldentum zu seiner vollen Größe: Seine Intelligenz und sein Mut lassen ihn zum moralischen und physischen Anführer der Widerstandsbewegung aufsteigen.
Auch die Mitstreiter_innen Isvans zeichnen sich in spektakulären Kampfszenen durch Mut und Loyalität bis hin zum Märtyrertum aus, wobei die Rolle der Frauen als Kämpferinnen an der Seite der Männer im krassen Gegensatz zu der untergeordneten, weiblichen Opferrolle im ersten Romanteil steht.
Nicht nur die Frauenfiguren überraschen zudem durch ihre Vielschichtigkeit, legen unerwartete Eigenschaften und Motive an den Tag und lassen sich keinem simplen Gut-Böse-Schema zuordnen; so zeigt der Held Isvan beispielsweise im brutalen Umgang mit Frauen seine menschliche Fehlbarkeit, während sein Widersacher Yon sich an einer Stelle im ersten Romandrittel unerwartet einsam und verletzbar zeigt, wodurch es zu einem kurzen Moment der Verbrüderung der beiden Erzfeinde kommt. Diese Hybridität der Figuren ist ein weiteres Charakteristikum, das sich durch Maximoffs Werke zieht.
Durch Aufbau und Stil der Narration, insbesondere durch Perspektivwechsel, Zeitsprünge und hohe Dialogdichte, entwickelt sich bis zum überraschenden Ende des Romans ein hohes Maß an Spannung.
Im vorliegenden Ausschnitt – im ersten Kapitel und im ersten Abschnitt des zweiten Kapitels – werden die Begriffe »Rom« und »Tzigane« perspektivisch verwendet; »Tziganes« auf dem Sklavenmarkt aus der Perspektive der Sklavenhalter und -händler, »Roms« im Roma-Lager und in deren Diskurs. Im weiteren Romanverlauf werden beide Begriffe jedoch oft synonym, auch autonym seitens der Protagonisten und mitunter im Wechsel innerhalb ein und desselben Satzes verwendet – ebenso »gadjo« und »Roumain«.
Sekundärquellen
Achim, Viorel. 2004. »The Roma in Romanian History«, Budapest/New York: Central European University Press. [online: https://books.openedition.org/ceup/1532]
Bogdal, Klaus. 2014 [2011]. »Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung«. Frankfurt: Suhrkamp.
Hancock, Ian. 1987. »The Pariah Sydrome: An account of gypsy slavery and persecution«. Ann Arbor: Karoma.
Necula, Ciprian. 2012. »The cost of Roma slavery«. In: Perspective Politice, Vol. 5, Nr. 2 (2012), S. 33–45.