Der Vortrag behandelt einige Beispiele aus der literarischen und künstlerischen Rezeption von Psalm 137 in Ungarn und Osteuropa. Der Psalm schildert den Schmerz der Juden in der babylonischen Gefangenschaft; vor Kummer hängen sie ihre Harfen in die Weiden. Später wurde dieser Gesang über die Trauer des Exils und der verlorenen Heimat reinterpretiert und rekontextualisiert. Die herzzerreißende Beschreibung der zerstörten Heimat der vertriebenen Juden in János Thordais Psalm aus dem 17. Jahrhundert geht vermutlich auf das Leid zurück, das die Verwüstung Ungarns während der osmanischen Herrschaft auslöste. Das Motiv der in den Baum gehängten Musikinstrumente, früher in Bezug gesetzt zu Gesellschaft und Nation, wurde im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert mit neuen, individualistischen Bedeutungen angereichert. In den Gedichten Mihály Csokonai Vitéz’ und Andreas Farkas’ illustriert die Figur des verstummenden Poeten die Unfähigkeit der Außenwelt, den Dichter oder seine inneren künstlerischen Krisen zu verstehen. Das Motiv des in den Baum gehängten Instruments findet sich im Gedicht »Die drei Zigeuner« (1838) des in Ungarn geborenen österreichischen Schriftstellers Nikolaus Lenau und in den durch dieses Gedicht inspirierten Kunstwerken, etwa den Gemälden des Österreichers Alois Schönn. Auf das Thema fiel die Wahl vermutlich nicht nur aus ethnografischem Interesse, sondern auch, weil etliche österreichische Künstler im 19. Jahrhundert unter Orientalismus die Darstellung vom Leben und den Bräuchen ungarischer und transsilvanischer Roma verstanden, die, wie man glaubte, aus dem Orient stammten. In der zweiten Jahrhunderthälfte wandte sich auch August von Pettenkofen, der mit befreundeten Maler_innenn oft die Künstlerkolonie von Szolnok besucht hatte, dem »exotischen« Leben ungarischer landwirtschaftlich Beschäftigte, Pferdehirt_innen und nomadischen »Zigeunern« zu. Das Thema der »drei Zigeuner« jedoch muss noch interessanter gewesen sein wegen der besonderen Ambivalenz zwischen der anekdotischen, genrehaften Szenerie und den biblisch-philosophischen Anklängen.