Alfred Lessing beschreibt den Zwang und die Notwendigkeit, seine Herkunft als Sinto zu leugnen, um der Verfolgung während des Nationalsozialismus zu entgehen. Einerseits versteht er Deutschland als seine Heimat, als ein Ort, an dem er lebt und arbeitet, und als eine Landschaft, in welche die Traditionen seiner Vorfahr_innen eingebettet sind. Zugleich jedoch stößt er – nach Rassenideologien nunmehr als »rassisch minderwertig« und als »Zigeuner« betrachtet – auf Ablehnung.
Das Leid des inneren Konflikts, das Lessing als Sinto und als Deutscher ertrug, zeigt sich in seiner Beschreibung der Flächenbombardierungen, die er als Mitglied der deutschen Öffentlichkeit erlebte. Als Teil von ihr erlebte und bezeugt er einerseits die Zerstörung Deutschlands und des Lebens der Deutschen; andererseits kann er jedoch nicht Zeugnis ablegen von der Zerstörung des Lebens der Sinti und Roma, die er nicht persönlich erlebte, da er seine Identität als Sinto erfolgreich verbarg und so den Konzentrationslagern entging.
Quelle der Textprobe
Lessing, Alfred. 1993. Mein Leben im Versteck: Wie ein deutscher Sinto den Holocaust überlebte. Düsseldorf: Zebulon, pp. 129-131
Weiterführende Literatur
Tebbutt, Susan, ed. 1998. »Sinti und Roma: Gypsies in German-speaking Society and Literature.« Oxford: Berghahn Books, pp. 136–38.
Zimmermann, Michael. »The National Socialist ›Solution of the Gypsy Question‹: Central Decisions, Local Initiatives and Their Interrelation«, »Holocaust and Genocide Studies« 15 3 (2001), pp. 412–427. Here, p. 414.