Stefan Palison erzählte seine Geschichte vom Prinzen »Kokalo« den Schulkindern in einer Volksschule in Malmö, Schweden, wo er Romani unterrichtete (er machte dabei auch selbst die vorliegende Tonaufnahme). Der Erzähler geht spezifisch auf sein junges Auditorium ein. Er spricht einzelne Schüler an (»De nadjon pakjalas lesko muj, kade sar o Robert peske paposko« – ›Dieser [Sohn] gehorchte [seinem Vater] wie Robert seinem Großvater‹) und beschreibt sehr ausführlich Szenen, die für Kinder relevant sind, so zum Beispiel die Langeweile des 17-Jährigen, sein wiederholtes Zögern, das verbotene siebente Zimmer zu öffnen, die Gewissensbisse gegenüber dem Vater, dem er sein Wort gegeben hat, und die Argumente, mit denen er das Übertreten des Verbots vor sich selbst rechtfertigt.
Ausführlich gestaltet Palison die inneren Monologe des Jungen und das Gespräch des Vaters mit dem Sohn zur Erklärung, warum er das Zimmer nicht hätte betreten dürfen. Der Erzähler setzt nicht voraus, dass die jungen Zuhörer_innen Andeutungen selbst ergänzen, er präsentiert eine logische, linear erzählte Geschichte. Die Schüler_innen leben hörbar mit. Sie fragen zwischendurch auch nach dem Alter des jungen Prinzen und wünschen sich einen Namen (Joži). Der Erzähler verleiht ihm jedoch bewusst einen Vulgonamen in Romanes: Kokalo ist ein alter Gräzismus und bedeutet »Knochen«.
Inhaltlich folgt der Erzähler keiner bestimmten Vorlage. Die Geschichte der Erringung einer verzauberten Prinzessin ist ein häufiger Märchentyp in vielen Ländern, der auch oft als wichtigstes Strukturelement die Suchwanderung und Prüfungen des Helden enthält. Diese Grundelemente werden vom Erzähler durch freie Kombination von Abenteuern und Motiven zu einem individuellen Zaubermärchen gestaltet.
Der jungendliche Protagonist besteht die erste Probe seiner Zuverlässigkeit nicht. Daher wird nach Bestehen etlicher Abenteuer diese Probe auch wiederholt. Diesmal dauert der Gewissenskonflikt noch länger; die zuhörenden Kinder haben ausreichend Gelegenheit, ihr potenzielles eigenes Verhalten zu evaluieren. Wieder versagt der Junge. Da ihm aber das Schicksal bestimmt hat, König zu werden und die Prinzessin zu erringen, geschieht dies auch, obwohl er als Held versagt: das designierte Schicksal (»So dela o Del pe muro šero, dela!« – ›Was Gott über mich bestimmt, wird geschehen!‹) steht über den Taten der Menschen.
Allerdings geht die Sache nicht wirklich gut aus: Der Junge verliert seinen Vater, ermordet versehentlich einen Freund und verunstaltet sich selbst. Die errungene Prinzessin ist unzufrieden mit ihm, der »weder Verstand noch Haare auf dem Kopf« (»či godji taj či bal po šero«) hat – eine humoristische und für Zaubermärchen ganz untypische Wendung. Der Fokus der Erzählung liegt also nicht auf der Vermittlung einer moralischen Botschaft an das Publikum, sondern auf dem Verhalten des Jungen, der reagiert wie ein »normaler« Bursche und sich von Neugier, Stolz und Langeweile verleiten lässt, Verbote zu überschreiten.
Weiterführende Literatur
Mode, Heinz; Hübschmannová, Milena (ed.). 1983–1985. Zigeunermärchen aus aller Welt. 4 Bände, Leipzig: Insel-Verlag.
Cech, Petra; Fennesz-Juhasz, Christiane; Halwachs, Dieter W.; Heinschink, Mozes F. (ed.). 2001. Fern von uns im Traum. Märchen, Erzählungen und Lieder der Lovara / Te na dikhas sunende. Lovarenge paramiči, tertenetura taj gjila. Klagenfurt: Drava Verlag (Transkript und deutsche Übersetzung / transkripto taj njamcicka translacija / transcript and German translation: pp. 216–45).