Der Zeichner, Video- und Aktionskünstler Alfred Ullrich (geboren 1948 in Schwabmünchen/Bayern, Deutschland) lebt in Dachau. Ullrich ist der Sohn eines Deutschen und einer österreichischen Sintezza, und als solcher betrachtet er sich selbst als eine Art Außenseiter unter Außenseiter_innen. Seine Arbeit kreist um die Frage des Verhältnisses der deutschen Mehrheitsgesellschaft zur Community der Sinti und Roma. Es ist ihm ein Anliegen, gegen die jahrhundertealten Vorurteile, die sich im kollektive Unterbewusstsein verfestigt haben, anzukämpfen. Ullrich verarbeitet dabei auch seine eigenen Familiengeschichte: Seine gesamte Familie wurde in die Konzentrationslager verschleppt, wo die meisten von ihnen ermordet wurden. Die Erlebnisse seiner Mutter in den Konzentrationslagern traumatisierten auch Ullrich selbst. Schmerz, Tod und Verletztlichkeit finden sich dementsprechend auch in seiner Arbeit wieder. Die ersten neun Jahre seines Lebens verbrachte Ullrich in einem Planwagen am nördlichen Stadtrand Wiens. Nach Beendigung seiner Schulzeit reiste er durch Europa, begann anschließend als Bühnenarbeiter am Theater und in einer Werkstatt für manuelle Druckverfahren in München zu arbeiten. Er begann mit den Druckverfahren zu experimentieren und schuf dabei abstrakte Werke, die zwischen dem Schönen und dem Groben, zwischen Anmut und Provokation changieren. Bei seinen Kaltnadelradierungen handelt es sich um zarte, meist abstrakte Bilder, die das Verfahren des Drucks selbst in den Vordergrund rücken und Gegenständlichkeit auflösen. Auf den vielfältigen Oberflächen zeigen sich widerstreitende Formen, und im Spiel der Farben finden sich Spuren der physischen Zerstörung der Druckplatten.

Seine Aktionskunst hat Ullrich dezidiert politisch ausgerichtet. Für seine erste Kunstaktion »Perlen vor die Säue« schuf er im Jahr 2000 ein eindringliches Bild: Vor dem Eingangstor des Konzentrationslagers Lety in Tschechien ließ er aus der offenen Hand Perlen auf den Boden fallen. Er wollte damit auf den skandalösen Umstand aufmerksam machen, dass dieses frühere Vernichtungslager, ein Ort des Massenmordes an Sinti und Roma, nun für den Schweinemastbetrieb verwendet wird Die Performance war Teil der Ausstellung »Call the Witness« im zweiten Roma Pavilion auf der 54. Biennale di Venezia 2011.

Als aufmerksamer Beobachter fordert Ullrich althergebrachte Sicht- und Verhaltensweisen heraus. In Sprache und Bild deckt er immer wieder die Diskriminerung des Fremden und Unbekannten auf. 2006 kritisierte er mit seinem Stück »Transidentities« den Zustand der öffentlichen Toiletten am ehemaligen sogenannten »Landfahrerplatz» in Dachau. Dass Ullrich das Gelände fotografierte und filmte, führte dazu, dass die Toiletten über Nacht entfernt wurden. An ihrer Stelle wurde nun ein mobiles Toilettenhäuschen aufgestellt. Fünf Jahre später forderte Ullrich schließlich die Entfernung eines Schildes mit der diskriminierenden Aufschrift »Landfahrerplatz kein Gewerbe« (das Wort »Landfahrer« wurde zur NS-Zeit als Synonym für »Zigeuner« verwendet). Der Austausch mit der Stadtverwaltung Dachau erwies sich als äußerst schwierig.

Alfred Ullrich stellt weltweit aus. Er verfolgt weiter sein Anliegen, »das gegenwärtige Verhältnis der Mehrheitsgesellschaft zur Gesellschaft der Sinti und Roma offenzulegen«.

Ausstellungsliste

1984
Cultural Center Zeche-Carl, Essen

1985/86
Small Gallery Young Art, Waldkraiburg

1987
ATAVISMS – L. Pichl and W. Wires, Gallery piek + fein, Berlin

1988
GRAFIKA – N. Kiening, Diöcesan Museum, Katowice, Poland

1993
KVD, Dachau with G. Gottschalk and H. Müller-Cejka
Artothek Treptow, Berlin

1996
Artist’s house, Ivano-Frankivsk, Ukraine

1997
»X« –Franziskuswerk, Schönbrunn

1999
ColorsFormenStructures – KVD Dachau
HAVANNA LOUNGE – Vienna

2000
PEARLS BEFORE SWINE – Performance, Lety, Czech Republic
Twenty Years of Lyrical Abstractions – T.W. Wood Gallery, Vermont, USA

2002
FarbenFormStruktur – with C. Sattler-Nefzger, Wasserturm Dachau

2003
Rahmen los …! – KVD Dachau

2006
Six times nothing on three plates – Muzeum Romské Kultury, Brno
TRANSIDENTITIES – Neue Galerie Dachau

2008
Illustrations »THE URSITORY« Matéo Maximov, House of Minorities, Prague

2009
roll-on, roll-off – A41 Gallery im Hof, Vienna
TRANSIDENTITIES – zentrum edition exil, Vienna

2011
TRANSIDENTITIES III – Gallery Kai Dikhas, Berlin

2014
BLACKOUT – Greyout Whiteout Braunau(t) Apartment of Art, Munich/Documentation and Cultural Center of German Sinti and Roma, Heidelberg/Gallery Kai Dikhas, Berlin

2015
Carte blanche with Konrad Dördelmann, Kunstverein Schrobenhausen

2016
ROLLING HOME – Gallery Kai Dikhas, Berlin

Gruppenausstellungen

1995
IMPREZA (Honorable Medal) – Ivano-Frankivsk, Ukraine

1999
OSNAKA99 – Ivano-Frankivsk, Ukraine

2001
Haus der Kunst – Munich

2003
AK 68 – Wasserburg, Inn

2005
POST FÜR DACHAU – KVD, Schloss Dachau
AK 68 – Wasserburg, Inn

2007
RAINBOW SOLDIER, LIQUID HEART – Stadtturm Galerie, Innsbruck, Austria

2009
THE AQUARELLIS – KVD Gallery, Dachau

2010
Love and Friendship in the Nuclear Age – Gallery Dana Charkasi, Vienna
ROMALE! 10 – Kunstraum Next Andrä, Graz

2011
EuroArt, contemporary art of the Dachau artists’ colony – Pesterzsébeti Múzeum, Budapest
Gadschi, Roma, Sinti, Manouches… Positions between exclusion and acceptance – KVD, Dachau
roma protocol – Parliament of Vienna
Call the witness, 2nd Roma Pavilion, 54. International Venice Biennale/Utrecht
STOPPING PLACES – Gallery Kai Dikhas, Berlin
Member exhibition of the KVD, Dachau

2012
What’s in a Frame? – www.3 stations.de, Munich
the killer rabbit ranch rodeo – National Museum in Berlin and Studio Norrmann in Biberbach/Röhrmoos
showrom – Voices of the Roma – Munich Adult Education Center
STOPPING PLACES II – Gallery Kai Dikhas, Berlin
Member exhibition of the KVD, Dachau

2013
NEULAND – Apartment of Art, Munich
ROMANI LIVES – Kunsthalle Exnergasse (WUK), Vienna
Ministry of Education warns: Segregation seriously harms you and the people around you –Prague, CZ, Story of the »site for traveling persons«, Dachau
STOPPING PLACES III – Gallery Kai Dikhas, Berlin

2014
Akathe Te Beshen – Here to stay – Gallery Kai Dikhas, Berlin
Kathe Ham Mer Kheri – Here we are at home – Gallery Kai Dikhas, Berlin
Member exhibition of the KVD, Dachau
STOPPING PLACES IV – Gallery Kai Dikhas, Berlin

2015
TRANSMITTING TRAUMA? – Gallery Kai Dikhas, Berlin
STOPPING PLACES V, Gallery Kai Dikhas, Berlin
Selfie – member exhibition of the KVD, Dachau

2016
Trautes Heim – KVD, Schloss Dachau
Akathe Te Beshen – J’y suis. J’y reste, Gallery Rivoli59, Paris
BE FREE! – Group exhibition, Heidelberg Castle/Ottheinrichsbau, Berlin
Gallery Kai Dikhas, Berlin

2017
Akathe Te Beshen – Mestipe Thaj Sastipe
CentroCentro – Cibeles de Cultura y Ciudadanía, Madrid, Spain
TODAY is YESTERDAY – Gallery Kai Dikhas, Berlin

Quelle: der Künstler