»Debajo del puente se van a acostar
pobres gitanillos si viene riá
«

»Unter der Brücke legen sie sich nieder,
arme kleine Roma, wenn Hochwasser kommt«

Von Rafael Romero genannt »El Gallina« aufgenommene autobiografische Verse, die seine Herkunft bezeugen.

Rafael Romero Romero wurde am 9. Oktober 1910 in Andújar in der Provinz Jaén geboren und starb am 4. Januar 1991 in Madrid – acht Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, die entscheidend sind für die Fundamentierung, die Entwicklung und die Kreativität in der Geschichte des Flamencos. Eine ganze Epoche, in der diese Kunst sich in ihrer expliziten Vielfalt der verschiedensten Formate behauptet; und an allen Phasen hat der cantaor gitano aus Andújar teil.

In der ersten, familiären Phase, von einigen als hermetisch oder ursprünglich bezeichnet, liegen die Anfänge dieses Roma-Flamencosängers. Der Alltag im Kreis der Familie stellt eine Art Konservatorium dar, aus dem die ersten Flamencoklänge zu ihm kamen. Hier lernte er und begeisterte sich für diese Musik, stammelte seine ersten cantes und »markierte« die Rhythmen seiner ersten Tänze. Unter den Verwandten ist der Großonkel José Illanda zu nennen, Schöpfer eines Soleá-Stils.

Mit gerade einmal zwölf Jahren beginnt sein beruflicher Werdegang, als er in der Heimat auf privaten Festen auftritt – kurioserweise als Flamencotänzer, da er die Stimme verloren hat, zum Glück nur vorübergehend.

Madrid war das ersehnte Ziel, und nach dem Spanischen Bürgerkrieg zog er dorthin. Die Madrider colmaos und tablaos boten ihm die Gelegenheit, vom Singen zu leben und Kontakt zu anderen Sänger_innen zu knüpfen, die ihn mit neuen Flamencoklängen in Berührung brachten (Pericón de Cádiz, Juan Varea, Rosa Durán, Pepe »El Culata«, Manolo Vargas und andere mehr). Von all den Lokalen war der Tablao Zambra, wo er am längsten auftrat und wo es ihm vergönnt war, mit dem Gitarristen Perico el del Lunar aus Jerez de la Frontera zusammenzutreffen, für seine künstlerische Laufbahn von entscheidender Bedeutung. Der Gitarrist war ein großer Kenner des Flamencos, und er erkannte bald die Fähigkeiten des Sängers aus Jaén, worauf er zu seinem Lehrer wurde und ihm die ganze sängerische Vielfalt der Flamencomusik aufzeigte. Diese künstlerische Verbindung war für El Gallina das Sprungbrett in die Welt der Musikindustrie und zur Anerkennung als enzyklopädischer cantaor. Die Chance ergab sich, als Perico el del Lunar seine großartige »Antología del Cante Flamenco« (1954) mit der Plattenfirma Hispavox produzierte. Für dieses Opus Magnum stellte er die Liste der Sänger_innen zusammen, und El Gallina gehörte selbstverständlich dazu. Er sollte nicht wenige der Stücke aufnehmen, womit er seine umfangreichen Kenntnisse der palos und Stile unter Beweis stellte. Besonders hervorzuheben sind die Tarantas, von ihm »cantes de madrugá« (Morgenlieder) genannt, typisch für die Bergleute aus Linares, die sie beim Schichtwechsel sangen. Erwähnenswert sind wegen seines persönlichen Beitrags auch die verschiedenen Varianten der Caña, des Mirabrás, der Rondeña und des Garrotín. In seiner Diskografie zu nennen sind des Weiteren »Grandes Cantaores del Flamenco« (Philips) und »Rafael Romero y el Duende Gitano« (P. Records).

In seiner langen künstlerischen Karriere erlebt El Gallina auch die als »Flamenco-Oper« bekannten Jahre, tritt mit den verschiedensten Kompanien auf (zusammen mit Vicente Escudero, Teresa y Luisillo, Antonio und anderen), bereist mit ihnen ganz Spanien und andere Länder. In dieser Zeit entwickelte er eine neue kreative Facette, nämlich das tanzbegleitende Singen, das auch hier den kommenden Generationen seine Spuren hinterließ.
Und schließlich folgen die Flamencofestivals, die zu Beginn der 1960er Jahre entstehen und rasch das ganze breite Spektrum des Flamencos erfassen – Festivals, auf denen Rafael Romero allenthalben zu hören ist.

Doch der Facettenreichtum des Künstlers ist damit längst nicht ausgeschöpft, noch bleiben Räume, wo er sein Talent entfalten kann: im Kino. Und so spielt der Sänger aus Andújar in Filmen namhafter Regisseure wie Florián Rey (»Brindis a Manolete«, 1948), Carlos Saura (»Llanto por un bandido«, 1964) und Yves Robert (»El arte de vivir«, 1967) mit.

Wir haben es also mit einem überaus vielseitigen Künstler zu tun, einem enzyklopädischen Sänger und Neuerer des Flamencos. Bezeichnend hierfür ist die Anerkennung, die ihm so bedeutende zeitgenössische cantaores/as wie Enrique Morente, José Menese oder Carmen Linares zollen; sie erklären unumwunden, welch unauslöschliche Spuren Rafael Romero »El Gallina« in ihrem persönlichem Flamencostil hinterlassen hat.

Zum Schluss, und um auf den Anfang zurückzukommen, eine Geschichte, die der Flamencosänger Paco el Pecas, ein Freund und Landsmann von ihm, in seinem Buch »Rafael Romero Romero en su centenario. Vida y obra ilustrada« erzählt:

»Als Rafael das letzte Mal Andújar besuchte, wollte er, dass ich mit ihm zu seinem ersten Haus ging. Unterwegs hielt er an, um sich in einem Lebensmittelgeschäft mit Proviant zu versorgen, er kaufte eine Flasche Whisky und etwas Stockfisch. Als wir hinkamen, war sein ›Haus‹ der dritte Bogen der römischen Brücke über den Guadalquivir. Dort setzte Rafael sich schweigend hin, trank aus der Flasche und aß stückchenweise den Fisch. Als er die Flasche ausgetrunken hatte, warf er sie gegen die Brücke, dabei stieß er Flüche aus, die aus tiefster Seele kamen.«