Jovan Nikolić wurde 1955 in Čačak, einer zentralserbischen Stadt in der damaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien geboren. Seine Kindheit verbrachte er in der mahalla (Roma-Viertel) in Čačak und begleitete seine Eltern, wenn sie mit ihrer Musik-Gruppe unterwegs waren. In den 1980er Jahren zog Nikolić nach Belgrad, wo er bis 1999 blieb, bis er – aufgrund der zunehmenden politischen Spannungen während des Regimes von Slobodan Milošević und der NATO-Bombardierungen – nach Deutschland auswanderte.

Nikolić ist einer der wichtigsten Vertreter der zeitgenössischen Roma-Literatur, obwohl der vorangestellte Begriff »Roma-« auf die Beschreibung seines Werkes stark begrenzend wirkt, wie auch die anderen Bezeichnungen, mit denen auf die Arbeit Bezug genommen wurde, wie »jugoslawisch«, »Roma-Serbe«, »deutsch«, »migrantisch«, faktisch ebenso richtig wie gleichzeitig unzureichend verkürzend bleiben. Nikolićs herausragende Beiträge im Bereich der Literatur sind so humanistisch und exzellent, wie es nur ein literarisches Meisterwerk sein kann, das über die ethnische oder nationale Kennzeichnung hinausgeht.

Bereits Ende der 1970er Jahre begann Nikolić mit der Veröffentlichung seiner literarischen Beiträge und journalistischen Artikel in Zeitschriften. In den 1980er Jahren wurde sein erster zweisprachiger Gedichtband »Dosti khatinendar / Gost Niotkuda« (›Der Gast von Nirgendwo‹, 1982) herausgebracht, der sowohl von der Literaturkritik der Mehrheitsgesellschaft als auch in Roma-Kreisen hochgelobt wurde. In dieser Zeit erhielt Nikolić den ersten Preis bei einem jugoslawischen Gedichtwettbewerb in Vrbas. Seitdem hat er zahlreiche Bücher mit Lyrik und Prosa (hauptsächlich Kurzgeschichten) in Serbokroatisch, Rumänisch, Serbisch, Deutsch und Russisch veröffentlicht. Seine Gedichte wurden in verschiedene Sammlungen aufgenommen und in mehr als 10 Sprachen übersetzt. 2011 wurde in Köln »Weißer Rabe, schwarzes Lamm« (2006) als »Ein Buch für die Stadt« ausgewählt.

Wie die meisten Roma-Autor_innen setzte sich Nikolić als Aktivist für die Belange von Rom_nja ein und verfolgte auch mit seinem literarischen Schaffen diese Agenden international weiter. Er war Initiator, Gründungsmitglied und Vizepräsident der mehrere Jahre bestehenden International Romani Writers’ Association (IRWA, gegründet 2002). Für den Rom e.V. in Köln initiierte er 2010 die »Roma-Kulturkarawane«, in deren Rahmen Vorträge und Seminare zur Roma-Kultur und -Geschichte für verschiedene Bildungsinstitutionen angeboten werden.

Jovan Nikolić ist ein faszinierender Erzähler der Zeiten, Kulturen und Lebensräume, denen er sich zugehörig fühlt. Besonders inspirierend ist seine Fähigkeit, die kulturelle Intimität der Belgrader Kultur oder jener Periode wiederzugeben, in der ›das verstorbene Fräulein Jugoslawien‹ (upokojena gospodjica Jugoslavija), um Nikolićs eigene Worte zu verwenden, noch bestand.

Bibliografie

Nikolić, Jovan. 1982. Dosti khatinendar = Gost Niotkuda. Pesme. Vršac/Vîrset: Bibloteka Kov.

Nikolić, Jovan. 1987. Đurđevdan. Beograd: BIGZ.

Nikolić, Jovan. 1991. Neću da se rodim. Beograd: KST.

Nikolić, Jovan. 1993. Oči pokojnog jagnjeta. Niš: SKC.

Nikolić, Jovan. 1998. Male Nočne Pesme. Cikne rjatune Ðilja. Novi Sad: Društvo Vojvodine za jezik i kultura i knjiñevnost Roma.

Nikolić, Jovan. 2004. Soba s točkom. Klagenfurt: Drava.

Nikolić, Jovan. 2004. Zimmer mit Rad, Gedichte und Prosa, aus dem Serbischen übersetzt von Bärbel Schulte. Klagenfurt: Drava.

Nikolić, Jovan, et Ruždija Russo Sejdović. 2004. Kosovo mon amour: Tragi-comédie ou drame tsigane traduit du rromani par [et préface de] Marcel Courthiades. Paris: L’espace d’un instant.

Nikolić, Jovan. 2006. Weißer Rabe, schwarzes Lamm. Klagenfurt: Drava.

Nikolić, Jovan. 2011. Seelenfänger, lautlos lärmend: Kurzprosa, aus dem Serbischen übersetzt von Dagmar Vohburger und Dragoslav Dedović. Klagenfurt: Drava.

Nikolić, Jovan. 2011. Soba s točkom. Beograd: Čigoja.

Nikolić, Jovan. 2014. Priče iz rasejanja. Beograd: Samizdat B92.

Nikolić, Jovan, i Ruždija Russo Sejdović. 2015. Kosovo Karusel. Ratna tradikomedija. Centar za očuvanje i razvoj kulture manjina Crne Gore, Pogorica (Montenegro).

Nikolić, Jovan. 2016. Das Orchester der Frauen, die mich verlassen haben. Prosa, aus dem Serbischen übersetzt von Dr. Elvira Veselinovic. Klagenfurt: Drava.

Nikolić, Jovan. 2017. Hotel Nikaragva, Novi Sad, Kulturni centar Novog Sada.