»Ich mag diesen Film! Kreativ und intim!«
Ivana Todorovic
Synopse
Roma Quixote ist der Name, den Valery Lekov für sich erfindet. Die Bezeichnung passt jedoch auch mehr oder weniger zu den weiteren drei Protagonist_innen des Films, die alle ihre Träume und ihre »Windmühlen« haben, gegen die sie kämpfen. Die bulgarische Dokumentation »Roma Quixote« von Nina Pehlivanova und Petya Nakova aus dem Jahr 2013 zeigt das vielfältige Leben der vier Protagonist_innen und ihrer Familien, die im ambivalent modernen Bulgarien leben. Trotz aller Unterschiede lassen sich dabei auch gewisse Parallelen zwischen ihnen ausmachen, die vor allem auf ihren sozialen und kulturellen Status zurückzuführen sind.
So sind sie beispielsweise alle auf irgendeine Weise von Wirtschaftsmigration betroffen: zwei haben Familienmitglieder im Ausland (Valery, Dalila), eine ist selbst Immigrantin (Svetla), und der Ärmste von ihnen (Emo) wird gefragt, ob er sein Roma-Viertel verlassen würde, was er entschieden ablehnt. Valery, der hier aufgewachsen ist, beschreibt das Viertel im bulgarischen Kjustendil als »Ghetto«, in dem »Menschen ein schweres Leben führen«. In Anbetracht seiner Tätigkeit als Radioreporter für das staatliche Radio in Bulgarien kann er als assimiliert gelten. Er lebt in einer einfachen Wohnung, für die er eine Hypothek aufnehmen musste. Sein Traum ist es, einen Bauernhof zu kaufen. Träumereien halten ihn jedoch keineswegs davon ab, sich im Viertel aktivistisch und organisatorisch für bessere Lebensbedingungen einzusetzen.
Es mag stimmen, dass »ein Ghetto eine psychologische Grenze ist«, wie einer von Valerys Interviewpartner_innen erklärt, Valerys kreatives Leben und sein Ehrgeiz scheinen dieser Aussage jedoch zu widersprechen. Doch auch er hat es nicht leicht. Er leidet beispielsweise darunter, dass seine Frau in Griechenland lebt und arbeitet, damit sie über die Runden kommen.
Ähnliches gilt für Dalila, einer weiteren Protagonistin des Films, deren Eltern in Schweden leben. Dalila ist gut in der Schule (Professional High School for Light Industry and Transport) und arbeitet dafür, Friseurin zu werden und zu ihren Eltern nach Schweden ziehen zu können. Svetla ist eine bessarabische Bulgarin aus der Ukraine, die einen Rom, Zhivko, geheiratet hat und nun mit ihm und den gemeinsamen Kindern in der Roma-Siedlung wohnt. Die Protagonist_innen befinden sich auf unterschiedlichen Ebenen in der sozialen Hierarchie und der Integration. Emo, der in der ärmsten Gegend des Viertels wohnt, steht in dieser Hierarchie ganz unten. Seine Eltern sind Analphabeten, und er schafft es kaum, die Schule zu besuchen.
Die Geschichten der Protagonist_innen sind auf lose Weise über Valery verbunden. Wenn er Emo interviewt, begleitet er dessen Frau zu dem Friseursalon, in dem Dalila ihre Ausbildung macht. Im Verlauf der Dokumentation kommt man dem Leben der Protagonist_innen immer näher und erfährt kontinuierlich mehr über das soziale und kulturelle Leben des Viertels. Eine letzte Sequenz zeigt Valery mit seinem Bienenstock, Emo mit seinen Tauben, Dalila im Friseursalon und Svetla, die mit ihrem Kind und ihrer Mutter aus der Ukraine die Straße entlangläuft.
Der Film endet schließlich mit dem sich wiederholenden Motiv einer Pferdekutsche, die langsam durch die Straßen des Viertels fährt. Und man sieht Valery, der als eine Art Fremdenführer über die Gegend informiert. Durch seine subjektiven, intimen und freundlichen Erzählungen erfährt man viel über die unterschiedlichen Facetten dieser kleinen Stadt; zugleich wird auf umfassende Weise das postsozialistische Bulgarien und die soziale und ökonomische Situation der Roma-Bürger_innen vermittelt. Valerys abschließender, rätselhafter Kommentar lässt Raum für Interpretationen: »So, das ist es also … Roma Quixote ohne Cervantes.« Wie kann man diese rätselhafte Rhetorik verstehen? Vielleicht bedeutet es, dass Valery nicht aus der Phantasie von jemandem geboren wurde, sondern eine echte bulgarische Version der ursprünglichen literarischen Figur des Don Quijote ist. Zudem ist Valery selbst der Autor des Lebens der Roma Quixotes und der ambivalenten Prozesse ihrer integracija.
Rezeption
2013 Premiere at Sofia Biting Docs Festival
2013 23. Film Festival Cottbus, Germany
2013 International Festival of Ethnographic Film Sofia
2013 Golden Rython, Plovdiv, Bulgaria, Пловдив
2014 Millennium International Film Festival, Brussels
2014 Golden Linden, Stara Zagora, Bulgaria
2014 Nomination for documentary debut by Bulgarian Film Academy
Screenings: Sofia University, in der Klasse des Department of Sociology, auf Initiative der Studentin Sarah Bozhinova; Sofia University, a free screening organized by the student Petar Petrov; Bar There, Veliko Tarnovo, organizer Amalipe; Plovdiv, organizer Amalipe – Plovdiv; Plovdiv University, Faculty of Economy and Social Sciences, organizer Gergana Doncheva, PhD; Shumen, organizer Amalipe – Shumen; Kyustendil, Roma neighbourhood; Doupnitsa, organizer Tanya Sokolova from Dupnitsa Municipality together with the Health mediators – Dupnitza and Community Center Spartacus; Hayredin viilage, Municipality Vratsa, Association »New Road«
Interviews
https://romaquixote.com/en/news/first-media-interviews-about-roma-quixote-documentary