Versuche der Selbstorganisation
Ion Ghica stammt aus der Ortschaft Piteşti im südlichen Teil Rumäniens. Auf der Liste der 1.002 aus Piteşti nach Transnistrien »evakuierten« Roma vom 12. September 1942 finden sich an den Stellen 123 bis 127: Ioan Ghica (39 Jahre), seine Frau Floarea (27) und ihre Kinder Barbu (14), Maria (11) und Ioan (3). Die Deportation von Ion Ghica war untypisch: Da er mobilisierungstauglich war, wurde er von der Deportation ausgenommen. Am Tag der Abreise der Roma bat Ion Ghica darum, mit seiner Familie mitzukommen, da seine Frau bei ihren Eltern bleiben wollte, die auf der Liste standen. In Transnistrien wurde die Familie Ende Oktober 1942 in Kateline (von 1941 bis 1944 Catelino) im Bezirk Ochakiv (Oceacov) angesiedelt. Ion Ghica wurde zum »Bürgermeister der Roma*« ernannt – eine Funktion, die vom Gouvernement von Transnistrien geschaffen worden war. Es sollte sich dabei um einen Mann handeln, der lesen und schreiben konnte, im Militär gedient hatte und von den Roma respektiert wurde. Er war dafür verantwortlich, dort die Aufzeichnungen zu führen, den Roma vorzustehen und sie vor Ort zur Arbeit einzusetzen. Er vermittelte zwischen den Roma, den rumänischen Besatzungsinstanzen und den Bürgermeistern der Gegend.
Am 21. Dezember 1942 lebten 650 Roma in Kateline. Außer einer Ration Gerste oder Weizenmehl bekamen sie keine weitere Verpflegung. Sie besaßen nicht einmal Töpfe, um ihr Essen zuzubereiten. Es wird zudem berichtet, dass Roma ihre Kleidung verkauften, um Lebensmittel kaufen zu können. Ein Bericht erwähnt die hohe Sterblichkeitsrate unter den Roma, meist aufgrund von Typhus. Mitte 1943 waren in Kateline nur noch 203 Roma am Leben. Ab Frühling 1943 mussten die Roma aus Kateline in der Dorfkolchose arbeiten.
Anfang August 1943 richtete Ion Ghica eine Petition an den Bezirkspräfekten, in der er von der harten Situation der rumänischen Roma berichtete, die hierher deportiert worden waren. Die Ergebnisse der Untersuchung sind in einem auf den 2. September 1943 datierten Bericht an den Bezirkspräfekten von Oceacov zusammengefasst. Darin werden die Aussagen von Ion Chica teilweise anerkannt. Die Petition zeigt, dass in Transnistrien die Sicherung der Versorgung ein Problem darstellte, selbst für diejenigen, die in einer Kolchose arbeiteten und für deren Lebensmittelrationen, den Befehlen des Gouvernements entsprechend, das Rathaus und die örtliche Kolchose verantwortlich waren. Die deportierten Roma mussten sich nicht nur mit Defiziten aller Art auseinandersetzen und waren mit der Willkür der rumänischen Besatzungsverwaltung konfrontiert. Sie hatten zudem mit der Feindseligkeit der ukrainischen Kommunen zu kämpfen. Ion Ghica versuchte, rückgeführt zu werden. Doch er und seine Familie mussten bis zum Frühling 1944 in Kateline verbleiben.