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»Wir sind bereit, eine jegliche Arbeit zu verrichten«

Paul Johans Ludwigs | »Wir sind bereit, eine jegliche Arbeit zu verrichten« | Selbstbeweis | Lettland | 12. März 1942 | voi_00008

Rights held by: Paul Johans Ludwig | Provided by: YIVO Institute for Jewish Research – Archives & Library Collections (New York/USA) | Archived under: RG 215 Berlin Collection OccE3-61

Herrn
Hochwohlgeehrten Reichskommissar

Abschrift dem Herrn Hochwohlgeehrten Gebietskommissar Libau.

Wir weiter unterzeichnete Zigeuner und Hausbesitzer von Frauenburg bitten hiermit im eigenen und im [Namen] anderer frauenburgische[r,] nicht [vor]bestrafte[r] Zigeuner herzlich den hochwohlgeehrten Herrn Reichskommissar, uns in unserer schweren Lage gnädigst mit einer Regelung unserer Lebensumstände zu helfen.
Wir waren verhältnismäßig gut unter[ge]kommene Zigeuner, geboren und sesshaft in Frauenburg. Durch Erbschaft und Kauf hatten wir schon vor Jahren manche kleine Häuser erworben. Unsere Kinder besuchten die Grundschule und auch das hiesige Gymnasium. Wir haben uns eines Herumschleichen[s] nicht verschuldet, sind unbestraft und verdienten unser Brot nicht durch Handel, wie es bei den Zigeunern üblich war, sondern durch tägliche Arbeit in der Fabrik, oder meistens als Fuhrleute in den umliegenden Först[er]eien.
Vor wenigen Wochen wurden uns unsere Pferde beschlagnahmt, die besten für die Armee, andere zum Verkauf an die Landwirte; an die Armee für einen genehmen Prei[s], an die Landwirte zu RM 4 bis RM 30.- pro Pferd. Damit verloren wir die Möglichkeit, unser tägliches Brot als Fuhrleute zu verdienen, und die niedrigen Preise [ließen uns verarmen]. [Inzwischen] sind auch Wagen und anderes Pferdegerät beschlagnahmt worden, und wir haben auch von der Polizei einen Erlass erhalten, dass wir nicht unser[en] Wohnort verlassen dürfen. So haben wir kein Einkommen vom Verkauf unsere[r] Hab[e], aber wir haben auch nicht die Möglichkeit, uns nach einer passenden Arbeit […] umzusehen.
Wir sind bereit, eine jegliche Arbeit [zu verrichten], die in unseren Kräften steht, und wir bitten herzlichst den hochwohlgeehrten Herrn Reichskommissar, uns in Frauenburg und in der Umgebung die Möglichkeit dazu zu geben. Denn in Frauenburg kennt man uns als schuldfreie Zigeuner, in Frauenburg befinden sich unsere kleine[n] Häuser, in Frauenburg besuchen auch unsere Kinder die Grundschule und das Gymnasium.
Und wenn es uns nicht erlaubt ist, als Fuhrleute unser täglich Brot zu verdienen, so möchten wir es gern als Landarbeiter oder Tagelöhner tu[n], damit wir unsere Kinder der Schulung unterziehen können und nicht in Not umkommen müssen, denn das Einkommen von den Wohnungen in unseren Häusern ist sehr gering.
In ehrwürdiger Ergebung.

Frauenburg, den 12. März 1942.

gez. Paul Johans Ludwigs
gez. Janis Aleksanders
gez. O. Gindua
gez. Juhle Stefans
gez. Fricis Djuka
gez. Ilze Čuka
gez. M. Čuka
gez. J. Steinfelds
gez. Alberts Gindra
gez. A. Pelds
gez. Otto Gindra

Mister
Most Esteemed Reich Commissar

Transcript to Mister Most Esteemed Regional Commissar of Libau.

We, the undersigned Roma* and house owners from Frauenburg, herewith wholeheartedly request on our own behalf and that of other unpunished Frauenburg Roma* that the esteemed Mister Reich Commissar mercifully help us, caught in a difficult situation, arrange a settlement with respect to our living circumstances.
We were relatively well-situated Roma*, born and settled in Frauenburg. Through inheritances and purchases, we had been able to acquire a few small houses years ago. Our children attended primary school and also the local secondary school. We were never guilty of prowling around, have no criminal convictions and have not earned our living through mongering, as was customary among Roma*, but instead have worked in the factory every day or mostly as carters in the surrounding forests.
Our horses were seized a few weeks ago, the best ones for the army, the others for sale to the farmers; the price for the army was acceptable, for the farmers between RM 4 and RM 30 per horse. This has deprived us of the possibility to earn our daily bread as carters, and because of the low prices we’ve soon become poor. Meanwhile, wagons and other gear have been seized as well, and we have also received a directive from the police that we are not permitted to leave our place of residence. We have no income from the sale of our possessions, but we are also unable to look for suitable work.
We are willing to do any kind of work that we are capable of, and we wholeheartedly ask the esteemed Herr Reich Commissar to give us the opportunity to do so in Frauenburg and the surrounding area. In Frauenburg we are known as Roma* who have never done any wrong, we have our small houses in Frauenburg, our children attend primary and secondary school in Frauenburg.
And if we are not permitted to earn our daily bread as carters, we would like to work as farmhands or day labourers so that our children can continue their schooling and do not perish in misery, since the income from the apartments in our houses is very low.
In honorable veneration.

Frauenburg, 12 March 1942.

sgd Paul Johans Ludwigs
sgd Janis Aleksanders
sgd O. Gindua
sgd Juhle Stefans
sgd Fricis Djuka
sgd Ilze Čuka
sgd M. Čuka
sgd J. Steinfelds
sgd Alberts Gindra
sgd A. Pelds
sgd Otto Gindra

Raj
Majpaćivalo Rajhesko Komesaro,

Transkripto dži ko Majpaćivalo Raj kotar e Rajhesko Regionalutno Komesaro Libau.

Amen, tele skrinisarde Rroma* thaj kherenge xulaja kotar o Frauenburg, akate birezervako ko amaro korkorutno anav thaj kotar e aver bikaznime Frauenburgeske Rroma* rodas kotar o paćivalo Raj e Rajhesko Komesari, te ažutil amen paćivales ki amari phari trajoski situacija.
Amen samas lačhe trajoske thaj bešipaske Rroma*, bijande thaj bešutne ko Frauenburg. Kotar o palikeripe amare phurengo barvalipe thaj o kinibe šaj sas nekobor cikne khera te ovol amen. Amare čhave džanas ki fundavni škola thaj vi ki lokalutni Gimnazija. Nikana na samas došale vaš o phiripe pe droma, naj sam kriminalutnes krisome, thaj na ikalasa amaro maro kotar o kinipe thaj bikinibe sar so si sakana maškar e Rroma*, numa amen kerdamas buti ki fabrika sako dives vaj kerdamas buti pe kaš ko trujalne veša.
Angleder nekobor kurke amare grasta sas amendar linde, majlačhe grasta vaš e armija a avera sas bikinimaske e farmerenge; o pokinipe kotar e armija sas čhinavdo, vaš e farmerija maškar e 4 RM thaj 30 RM po grast. Akava phagel amaro šajipe amaro maro te las buti kerindos e grastenca thaj soske o pokinipe but cikno si, but sigo ačhilam čorore. Maškar i vrama e vordona thaj e avera grastune šeja sas amendar lende, thaj kotar e policija jekh erlasi lijam kaj našti te mukas amaro bešipasko than. Naj amen love kotar o bikinibe kodo so si amen, numa vi našti te rodas adekvatno buti.

Amen si volja te keras savi go te si buti, vaš savi isi amen džanibe thaj birezervako rodas kotar o paćivalo Raj Rajhesko Komesari te del amenge šajipe te keras kodo ko Frauenburg thaj oleske trujalne thana. Ko Frauenburg amen sam pindžarde sar Rroma* so nikana na kerde vareso bilačhes ko Frauenburg, si amen cikne khera, thaj ko Frauenburg amare čhave džanas ki fundavni škola thaj Gimnazija.
Thaj te naj amenge šajipe te ikalas amaro maro kerindos buti e grastikane vordonenca, amen mangas te keras buti sar bustanarja, vaj palem sar diveseske bućarne te šaj amare čhave te džan dureder peske sikljovibasa ki škola thaj te na crden ko čorolipe, soske e kirija ke amare apartamenora ko amare khera si but cikne.

Deibe pakiv thaj respekto

Frauenburg, 12-to Marto 1942 bersh
skrinisardo. Paul Johans Ludwigs
skrinisardo. Janis Aleksanders
skrinisardo. O. Gindua
skrinisardo. Juhle Stefans
skrinisardo. Fricis Djuka
skrinisardo. Ilze Čuka
skrinisardo. M. Čuka
skrinisardo. J. Steinfelds
skrinisardo. Alberts Gindra
skrinisardo. A. Pelds
skrinisardo. Otto Gindra

Credits

Rights held by: Paul Johans Ludwig | Provided by: YIVO Institute for Jewish Research – Archives & Library Collections (New York/USA) | Archived under: RG 215 Berlin Collection OccE3-61

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Lesung des Selbstzeugnisses von Paul Johans Ludwigs
2.51 min
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Lesung des Selbstzeugnisses von Paul Johans Ludwigs | Spoken word | Deutschland | 2018 | voi_00068
DE

Kontextualisierung

Zerstörte Existenzen, verzweifelte Initiativen
Im Dezember 1941 hatte die deutsche Sicherheitspolizei sämtliche Roma, die in der Stadt Libau (lettisch Liepāja) wohnten, erschossen. Die Roma der nahegelegenen Stadt Frauenburg (Saldus) waren diesem Schicksal zunächst entgangen, doch wurden sie ihrerseits diskriminierenden Maßnahmen der deutschen Besatzer unterworfen, die sie in ihrer Existenz bedrohten. Die vorliegende Bittschrift spiegelt die ursprünglichen Lebensbedingungen der Stadtbewohner_innen wider, die als Fuhrleute ihr Geld verdienten, eigene Häuser besaßen und ihre Kinder auf höheren Schulen unterbringen konnten. Durch die ausdrückliche Abgrenzung von mobilen Handel treibenden »Zigeunern« und die mehrfache Betonung, sich nichts zuschulden gekommen haben zu lassen, versuchten die Bittsteller, antiziganistische Vorurteile der deutschen Behörden zu entkräften. Die ausdrückliche Bereitschaft, »jegliche Arbeit« verrichten zu wollen, verdeutlicht ihre verzweifelte Lage.

Abschriften der Bittschrift wanderten durch die Dienststellen der deutschen Zivilverwaltung, da die bearbeitende Abteilung Politik des Reichskommissariats Ostland (RKO) nicht wusste, wie die »Zigeunerfrage« zu behandeln sei. Der Höhere SS- und Polizeiführer Ostland antwortete, dass die Polizei diese Frage »in eigener Zuständigkeit« löse, wobei er sich auf eine persönliche Vereinbarung zwischen ihm und dem Reichskommissar berief, die schriftlich nicht mitgeteilt werden könne. Auf Nachfrage übersandte Reichskommissar Lohse eine Abschrift seines Erlasses vom 4. bzw. 24. Dezember 1941, durch welchen »die im Lande umherirrenden Zigeuner […] in der Behandlung den Juden gleichgestellt werden«. Obwohl die Roma aus Frauenburg den Kriterien des RKO-Erlasses nicht entsprachen, endete die Behördenkorrespondenz an dieser Stelle. Was aus ihnen und ihren Familien wurde, ist nicht überliefert. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie Mitte des Jahres 1942 erschossen wurden.

Martin Holler (2017)

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Lesung des Selbstzeugnisses von Paul Johans Ludwigs
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Lesung des Selbstzeugnisses von Paul Johans Ludwigs | Spoken word | Deutschland | 2018 | voi_00068
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Details

übersetzer Titel
‘We are willing to do any kind of work’
übersetzer Titel
»Amen mangas te keras savi go te si buti «
Land
Produktion
12. März 1942
Credits
Produktionsstab
Objekttyp
Material
Objektnummer
voi_00008

Archivbereich

Verwandte Personen und Begriffe

Personen Hinrich Lohse, Themen Sicherheitspolizei, Diskriminierung, Petition, Massaker, Periode 1933 - 1945