Nach offiziellen Angaben gibt es heute 149.000 Rom_nja in Serbien, womit sie ungefähr zwei Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Anderen Schätzungen nach leben aber in sogenannten informellen Siedlungen mindestens 500.000 unregistrierte Rom_nja. Wegen des Stigmas, das die ethnische Zugehörigkeit mit sich bringt, entscheiden sich viele Rom_nja für die »ethnische Mimikry«, das bedeutet, sie identifizieren sich mit der Mehrheitsbevölkerung. Viele Migrationswellen der Rom_nja nach Serbien gingen nachweislich von Rumänien, von der Türkei sowie von Bosnien und Herzegowina aus, aber es fehlen genaue Zahlen darüber, wie viele Rom_nja tatsächlich ins Land eingewandert sind.
Aufgrund der schwierigen politischen Lage in der Region wurde das ehemalige Jugoslawien, das aus sechs Republiken bestand, in unterschiedliche Länder aufgeteilt. Auf diese Weise sahen sich nicht nur die Nationalitäten, sondern auch die im Land lebenden ethnischen Minderheiten mit völlig veränderten sozialen Realitäten konfrontiert. Tanz, Musik und Kultur beschränkten sich nicht länger nur auf die Balkanregion, sondern zogen mit den Familien, die entweder gezwungenermaßen oder freiwillig in andere Länder emigrierten, in die neuen Gastländer ein.
Die Sammlung
Als Beispiel soll hier eine junge Roma-Tänzerin aus Serbien genannt werden: Ivana Nikolic. Ihre Familie verschlug es während der politischen Turbulenzen in Jugoslawien nach Turin, Italien. Nikolic beendet 2018 ihre Tanzausbildung an einer angesehenen italienischen Universität und ist nicht nur Aktivistin, sondern auch eine Künstlerin, die den Tanz als Mittel des sozialen Wandels betrachtet.
In dieser Sammlung werden fünfundvierzig Farbaufnahmen und einige Videos, die die Tänzerin auf der Bühne oder im öffentlichen Raum zeigen, präsentiert. Auf einem Dutzend Bilder ist sie in den traditionellen Gewändern der Romnja zu sehen.
Serbischer Volkstanz
In Serbien sind balkanische Volkstänze beliebt. Beim Kolo, der wohl am häufigsten getanzt wird, halten sich die Tänzer_innen aneinander fest und tanzen im Kreis. Der Lesa-Tanz wird sowohl in einer einzelnen Reihe als auch in zwei parallelen Reihen getanzt, wobei man sich nach links und rechts, aber auch nach vorne und hinten bewegt. Diese beiden Reigentänze werden in Serbien häufig getanzt, Einzel- oder Paartänze sind hier selten.
Die Ursprünge von sehr alten zeremoniellen Tänzen wie Dodole, Lazarice und Kraljice gehen auf heidnische Fruchtbarkeits- oder Regenrituale zurück. In früheren Zeiten wurden diese Tänze vorwiegend zu Anlässen wie Geburten, Initiationen, Hochzeiten oder Beerdigungen getanzt.
Carol Silverman erforscht in ihrem Buch »Romani Routes« (2012) die Kultur und die Balkanmusik in der Diaspora und führt aus, dass die Reigentänze der Rom_nja zur Čoček-Musik getanzt werden. Doch je nachdem, wo die Tanzenden leben, wie alt sie sind und welcher Gruppe sie angehören, unterscheiden sich die Tänze in Stil und Schrittfolge. In Mazedonien, im Kosovo und in Südserbien ist der manchmal Oro genannte Reigentanz der beliebteste. Schrittfolge und Rhythmus auch dieses dreiertaktischen Tanzes unterscheiden sich von Ort zu Ort.