Das heutige Rumänien besitzt eine große Roma-Gemeinschaft. Nach der Volkszählung von 2011 machen die Rom_nja ungefähr drei Prozent der Gesamtbevölkerung aus.1 Wie in vielen anderen europäischen Ländern herrschen auch in Rumänien große Spannungen zwischen Rom_nja und Nicht-Rom_nja, sie werden hier jedoch noch durch die spezifische Geschichte der Sklaverei verstärkt.
Transsilvanien – Zentralrumänien: Romafest Tanzensamble und Attila Szalto
Transsilvanien oder Siebenbürgen ist eine historische Region, die heute unter dem Namen Zentralrumänien bekannt ist. Das Gebiet, in dem sich auch ein Teil der Karpaten befindet, besitzt sowohl städtische als auch ländliche Strukturen und hat eine komplexe und vielfältige Geschichte voller ungarischer, serbischer, slowakischer und deutscher Einflüsse. In Zentralrumänien sind seit jeher Rom_nja beheimatet. Volksmusik spielt bis heute eine zentrale Rolle und weist viele unterschiedliche kulturelle Einflüsse auf. Typisch für die Region sind vor allem »Burschentänze«, die sowohl in Gruppen als auch einzeln begleitet von einer Musikgruppe aufgeführt werden.
Diese Sammlung enthält vierzig Bilder und sieben Filme, die hauptsächlich das Romafest-Tanzensemble und seinen Leiter zeigen. Der Leiter dieser aus Frauen und Männer bestehenden Roma-Tanz-Gruppe, die auch traditionelle siebenbürgische Roma-Tänze aufführt, ist Attila Szalto. Er wurde in Marossárpatak in Rumänien geboren und ist berühmt für seine detailkonzentrierte, abwechslungsreiche rhythmische Musik, die er mit Händen und Füßen hervorbringt.
Die Fotos und Filme gewähren nicht nur Einblicke in die »Burschen«- und Verbunk-Tänze, sondern auch in improvisierte Tänze, die Teil der lebendigen Vergangenheit und des reichen kulturellen Erbes Siebenbürgens sind.
»Burschentanz«
Der »Burschentanz« wurde 2015 von der UNESCO in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Dabei handelt es sich um einen rumänischen, von Männern ausgeführten Volkstanz, der bei Festen und an hohen Feiertagen, aber auch bei Bühnenvorstellungen aufgeführt wird. Jede rumänische Gemeinschaft hat ihre eigene Version des »Burschentanzes«: Die Rumän_innen nennen ihn Fecioreşte und die Ungar_innen Legényes.
Dieser komplizierte Gruppentanz findet sich vor allem in Transsilvanien, in dessen Dörfern unterschiedliche Ethnien zusammenwohnen. Jede Gemeinde tanzt eine eigene Variante, doch sind alle Versionen des Tanzes, mit den schnellen rhythmischen Schrittfolgen, dem Fingerschnippen, dem Händeklatschen und dem Zusammenschlagen der Hacken, äußerst virtuos.
Auf der Webseite der UNESCO finden sich folgende Anmerkungen zum Tanz:
»Die Gruppe wird von zwei verschiedenen Personen geleitet: einem Koordinator, der die Gruppenmitglieder auswählt und in die Gruppe integriert, und einem besonders talentierten Tänzer, der die Gruppe beim Tanzen führt. Die Gruppen setzen sich aus Jungen und Männern zwischen 5 und 70 Jahren zusammen, egal ob Rumänen, Ungarn oder Roma. Die Möglichkeit, Tänzer verschiedener ethnischer Zugehörigkeit in ihrer Eigenheit und Vielfalt zu beobachten, fördert den interkulturellen Dialog und ermöglicht es, mehr über die kulturelle Diversität zu erfahren.
Die ganze Gemeinde nimmt an den Tanzdarbietungen teil, sei es als Darsteller oder als Zuschauer_innen. Das unterstützt den sozialen Zusammenhalt. Für die jungen Männer solcher traditionellen Gemeinschaften bietet der »Burschentanz« die Möglichkeit, ihren sozialen Status zu stärken – sowohl in der Dorfgemeinschaft als auch, im Hinblick auf eine zukünftige Heirat, bei den jungen Mädchen und deren Familien.«
UNESCO: Lad’s dances in Romania
Die Tänze sind nicht nur Vorbilder für den interkulturellen Dialog, sondern auch »Hardcopies« einer Vergangenheit, die sich über den Körper vermittelt. Die »Burschentänze« können in Gruppen oder einzeln getanzt werden, gelegentlich sind auch Frauen daran beteiligt. Bei der Gruppenformation tanzt man meist in einem Kreis, der sich mit Hilfe von synkopierten Stampfschritten und Hackenzusammenschlagen gegen den Uhrzeigersinn bewegt und von rhythmischem Auf-der-Stelle-Treten und Kreiselnlassen des Unterschenkels unterbrochen wird. Beim Einzeltanz vollführt ein Solotänzer eine Tanzphrase mit verschiedenen Motiven, während sich die übrigen Tänzer vor den Musikern aufstellen.2
Verbunk oder Verboonkosh
Die Geschichte des männlichen Roma-Tanzes, der unter den Bezeichnungen Verbunk oder Verboonkosh bekannt ist, ist äußerst interessant. Der Verbunk stammt wie der Csárdás aus Ungarn. Wie oben bereits erwähnt, finden sich in der Region Transsilvanien viele deutsche Einflüsse, die auch Eingang in den Volkstanz gefunden haben. Der Begriff Verbunk kommt vom deutschen Wort »werben«, womit das Anwerben von Soldaten für die österreichischen Armeen der Habsburger im 18. Jahrhundert gemeint ist.
Der Tanz wurde ursprünglich von den Soldaten getanzt, um die Rekruten zu überzeugen der Armee zu dienen. Die Männer standen in einem Kreis und jeder versuchte, den anderen mit hohen Sprüngen, mit Stampfen auf der Stelle oder mit dem Zusammenschlagen der Hacken zu übertrumpfen. Dabei wurden sie von Musikern, meist Roma, begleitet.
Attila Szalto ist ein Experte für diese Art Tänze, außerdem ist er ein Meister der Körper-Perkussion und hat eine eigene Variante des Verbunks entwickelt.
Siehe: Jonathan Ballmann, »Verbunkos«
Attila Szalto
Attila Szaltos Tanzkarriere begann 2001 im Romafest-Tanzensemble, das außer in Rumänien auch in Europa, Asien und Nordamerika auftritt. Zwei Jahre lang arbeitete Szalto außerdem als Tänzer, Choreograf und Tanzlehrer beim Cirque du Soleil in Kanada. Seit 2005 gibt er Workshops für Roma-Tanz in England, Ungarn, Japan, Hongkong, Kanada und Rumänien. Außerdem tritt er in Rumänien im Fernsehen, wie 2016 im »Romania’s Got Talent«, oder in Musikvideos von berühmten Roma-Musiker_innen wie Sandu Ciorbă auf.
Romafest-Tanzensemble
Das Romafest-Tanzensemble wurde 1997 gegründet und trat zum ersten Mal beim »Transylvanian Gypsy Song and Dance Festival« im rumänischen Gornești auf. Seit 2003 ist das Tanzensemble in der Târgu-Mureș-Region zu Hause. Die Gruppe unterhält enge Verbindungen zu Japan und tritt dort regelmäßig auf, außerdem organisiert sie jährlich ein Sommer Tanz und Musik Camp, an dem auch Kulturbotschafter_innen aus Japan teilnehmen. 2011 wurde Romafest mit vielen anderen talentierten Roma-Musiker_innn und -Tänzer_innen aus Zentralrumänien zum NPO Romafest Japan eingeladen. Die Initiative ging von Tetsuo Masunaga aus, einem japanischen Liebhaber und Förderer der osteuropäischen Volkskultur.
Tetsuo Masunaga erhielt für seine Bemühungen um die Verbreitung slowakischer und ungarischer Kultur in der Welt die höchsten Staatsauszeichnungen beider Staaten. In den letzten 40 Jahren unterstützte er zahlreiche kulturelle Aktivitäten wie das Romafest in Rumänien. Seine Organisation will die Roma-Volkskultur Zentralrumäniens in ihrer ganzen Vielfalt erhalten, und zwar sowohl durch Initiativen wie dem »Romafest Gypsy Summer Camp« als auch durch einen regelmäßigen kulturellen Austausch mit Japan.
Das Romafest-Tanzensemble besteht hauptsächlich aus männlichen Tänzern. Zwar werden sie auf ihren Tourneen auch von einigen Frauen begleitet, doch bleiben die Männer sowohl auf der Bühne als auch beim Tanz im privaten Kreis meist unter sich. Sie sind auf den »Burschentanz« und den Verbunk spezialisiert und außerdem berühmt für ihr rhythmisches und perkussives Spiel auf Krügen.
Die Gruppe trat bereits in der ganzen Welt auf und begeisterte das Publikum mit ihrer Präzision, der Fußarbeit, dem Fingerschnipsen, dem Rhythmus und der verblüffenden Technik. Regelmäßig geben die Tänzer und Musiker des Ensembles Workshops in Zentralrumänien und organisieren Sommer-Camps, wo virtuose Roma-Musiker_innen immer wieder beweisen, wie eng Musik und Tanz zusammengehören.
Moderne Interpretationen
Während seiner Zeit beim Cirque du Soleil in Kanada verbreitete Attila Szalto sein Wissen über den Roma-Tanz in Nordamerika. Seit einiger Zeit interessiert sich auch der moderne Tanz für die Tänze Zentralrumäniens. István Molnár war ein professioneller Tänzer und Choreograf, der die ungarischen Tänze analysierte und nach den verschiedenen Motiven katalogisierte (Felfoldi, 56). Molnárs kultur- und tanzanalytische Arbeit »Magyar tánchagyományok« (Ungarische Tanztraditionen) wurde 1947 veröffentlicht und basiert auf Material, das Molnár in den Jahren 1941 bis 1947 in fünfzig ungarischen und einigen zentralrumänischen Dörfern gesammelt hat.3
Die Region Transsilvanien ist für die Vampirgeschichte des Dracula berühmt. Es gibt viele Tänze und Ballette, die eine eigene Version des Mythos darstellen. Katherine Litz, eine Schülerin von Agnes de Mille, schuf 1959 eine pantomimische Tanzversion, während Ping Chong und seine Fiji Theater Company mit »Nosferatu« (1985) einen komischen Danse macabre entwickelten, der von Friedrich Wilhelm Murnaus gleichnamigen Film aus dem Jahre 1922 inspiriert worden war. 1985 gab die US-amerikanische California Ballet Association Charles Bennett den Auftrag, ein Tanzdrama über Dracula zu erschaffen. Der Choreograf hatte die Idee zu diesem Ballett bereits seit zwanzig Jahren im Kopf. Er gesteht, dass die riesige Popularität des Stoffes ihn schon immer fasziniert habe (Scivally 2015). Für die Umsetzung habe er sich aller möglichen Tanzarten bedient, vom Roma-Tänzen Transsilvaniens bis zum Tango.
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