Der Titel »Camelamos naquerar« ist auf Caló – gesprochen von spanischen, katalanischen, okzitanischen und portugiesischen Gitanos – und bedeutet »wir wollen sprechen«. Der Film verbindet unterschiedliche dokumentarische Ansätze: Er ist strukturiert durch Panoramaschwenks auf eine Caló-Siedlung, die die ärmlichen Lebensbedingungen zeigen. Ein Voice-Over beschreibt und analysiert die Situation. Diesem investigativen Ansatz werden emotionale Szenen einer Theaterperformance und von Flamencotanz und -gesang gegenübergestellt. Das Verb »sprechen« im Titel bezieht sich auf die Sprache des Tanzes. Die Protagonist_innen der anderen Szenen sind »stumm«: Sie sprechen nicht und sind entweder bei ihren alltäglichen Arbeiten zu sehen oder dabei, wie sie für die Kamera posieren.
Die ungarische Dokumentation »Gypsies« (Ungarn, 1962) von Sándor Sára wurde ebenfalls als Reaktion auf politische Veränderungen gedreht. Dem Film voraus gingen bedeutende soziologische Forschungen, die vom Kulturbund ungarischer Rom_nja (Magyarországi Cigányok Kulturális Szövetsége) initiiert wurden. Der Kulturbund gründete sich 1957 im Zuge der politischen Umbrüche nach dem Ungarischen Volksaufstand von 1956 und wurde von Mária László, einer Romni und Sozialdemokratin, geleitet.
Eines der Ziele dieser Vereinigung war es, das kulturelle Leben der Roma-Minorität zu fördern. Da sie sich auch aktiv gegen institutionalisierte Unterdrückung einsetzte, wurde der Kulturbund ungarischer Rom_nja von der neuen »soften« autoritären Regierung aufgelöst.
Der Film »Gypsies« fängt diesen einzigartigen historischen Moment ein und behandelt einige tabuisierte Themen. Eines dieser Tabus betrifft die Muttersprache selbst: In der Eröffnungsszene schwenkt die Kamera langsam über eine Siedlung im Wald, während im Hintergrund auf Romanes ein Klagelied (hallgató) zu hören ist, das von den Traumata des Zweiten Weltkriegs handelt. In einer anderen Szene während einer Beerdigungszeremonie werden wir Zeug_innen der alten Roma-Tradition des Geschichtenerzählens: den Ursprungserzählungen (»Einst waren wir Vögel«) folgen Gebete, ebenfalls auf Romanes. Obwohl Rom_nja zu der Zeit nicht als nationale Minderheit anerkannt waren, zeigen diese Szenen deutlich deren reiche kulturelle Traditionen. Tatsächlich hat Kultur die Gruppe trotz aller politischer und ökonomischer Repressionen, die Rom_nja erleiden mussten, geeint.
Der Dokumentarfilm »Amaro drom« (Tschechoslowakei, 1984) ähnelt »Gypsies« auf verschiedenen Ebenen. Der Film verwendet Parallelmontagen: Er zeigt ein Theaterstück auf Romanes und bezieht sich so auf die reichen kulturellen Traditionen – und gibt Interviews mit tschechoslowakischen Rom_nja wieder, die unter schlechten Bedingungen leben. Die Synopsis hebt hervor, wie formale Mittel (etwa Großaufnahmen von Gesichtern) »das Stillschweigen betonen, das der Roma-Community aufgezwungen wurde«.
Romanes wird auch in dem fiktionalen Dokumentarfilm »Cséplő Gyuri« (Ungarn, 1978) gesprochen. Der Film thematisiert die bemerkenswerten soziologischen Forschungsergebnisse zu Armut und Exklusion von Rom_nja, die von einer Gruppe oppositioneller Wissenschaftler_innen (István Kemény und andere Soziolog_innen) durchgeführt wurde. Da die Forschergruppe sich auf soziologische Befunde fokussierte, widmete sie der Kultur von Roma-Communitys nur wenig Aufmerksamkeit.
Der Film bewegt sich an der Grenze von Fiktion und Dokumentation, der Regisseur Pál Schiffer und sein Co-Autor István Kemény schrieben das Drehbuch, nachdem sie das Leben des Protagonisten György Cséplő in seiner Community ausführlich analysiert und diskutiert haben. Die Basis bildeten akribisch ausgeführte vorbereitende Recherchen. Auf diese Weise wurden »Schicksal und Rollenidentität« zu zentralen Organisationsprinzipien (Gelencsér 2002, S. 163).
Insbesondere eine Szene, die Gábor Gelencsér als »echtes Dokument« beschreibt, betont die enorme Bedeutung von Sprache: Zwei Protagonisten (einen von ihnen ist der Hauptdarsteller Gyuri) stehen an einem Bahnhof. Beide sind vom Land nach Budapest gekommen und sprechen unterschiedliche Romanes-Dialekte.
Diese Szene ist eine wirkungsvolle Erinnerung daran, dass Sprache für den Zusammenhalt einer Minorität von enormer Bedeutung ist, weil sie ihr in einer fremden Umgebung Halt gibt. Später erscheint ein junges Mädchen und stellt ihnen eine Frage, auch auf Romanes. Sie sind überrascht und freuen sich sehr. Das Mädchen bemerkt nicht einmal den Kameramann, der sich hinter einem Baum versteckt.
Diese spontane Begegnung ist verbunden mit einer anderen Szene, die eine Kulturveranstaltung von Rom_nja in einer Fabrik zeigt, die von Personen organisiert wurde, die zentrale Figuren der Roma-Bürgerrechtsbewegung der späten 1970er und 1980er Jahre werden sollten (darunter János Bársony, Ágnes Daróczi, József Choli-Daróczi, László Galyas, József Lojkó Lakatos, Menyhért Lakatos und Tamás Péli).