Die Rom_nja waren schon im 18. Jahrhundert ein fester Bestandteil des stereotypen Spanien. Reisende aus ganz Europa durchquerten die Pyrenäen, um das »exotische Spanien« zu genießen, wo die Welle der Industrialisierung, die in anderen europäischen Ländern in vollem Gange war, angeblich noch nicht angekommen war. Reisende waren begierig darauf, das maurische Erbe zu entdecken, und ihre Aufmerksamkeit wandte sich rasch den leidenschaftlichen Tänzen andalusischer Frauen zu.
Prosper Mérimées Novelle »Carmen« (1847) und Georges Bizets gleichnamige Oper (1875) visualisieren diese Fantasien und verkörpern sich in der fiktionalen Figur der Carmen, einer übersexualisierten und gefährlichen »Zigeunerin« mit unwiderstehlichem Charme. Die Figur der Femme fatale, verkörpert von einer Romni, bekräftigte die Vorstellung von Spanien als einem exotischen Ort und trug dazu bei, dass »Gitano«, Flamenco und Andalusien gleichgesetzt wurden. Diese Projektion von außen hatte Auswirkungen auf die Diskurse zur Bildung eines Nationalbewusstseins und prägten die Darstellung spanischer Rom_nja.
Farbenfrohe »Zigeuner«
1898 markiert das Ende Spaniens als Kolonialmacht. Der Verlust überseeischer Territorien, von Kuba und den Philippinen, in der spanischen Geschichte als El Desastre bekannt, wirft einen Schatten auf die geistige Elite und löst eine Debatte über die Rekonstruktion (oder »Heilung« in der Terminologie der Generation von 1898) eines versehrten Landes aus.
Lösungsvorschläge für die Identitätskrise, die unter anderem aus dem Verlust des Kolonialreichs resultierte, kamen aus verschiedenen Richtungen. Manche, wie etwa Miguel de Unamuno, schlagen eine Lösung »von innen« vor, während andere, unter ihnen José Ortega y Gasset, Europa als Schlüssel dafür verstehen, die sozioökonomische Unterentwicklung Spaniens zu beenden. Bemerkenswert ist, dass beide Positionen ein Verständnis von Spanien als vergeistigte Oase inmitten eines materialistischen, seelenlosen Okzidents teilen.
Zu diesem entscheidenden Augenblick wurden Rom_nja zum Sündenbock für die Rückschrittlichkeit der Nation gemacht und die mit ihrer Kultur verbundenen Aktivitäten (Flamenco, Stierkampf und anderes) diffamiert. Die Flamencocafés (café cantantes), Treffpunkt für »Gitanos«, »Nicht-Gitanos« und Aficionados (Flamenco-Liebhaber), wurden von Intellektuellen als pornografische, perverse Orte wahrgenommen oder, wie Unamuno zusammenfasst: »Einer der schlimmsten Übel, unter denen Spanien leidet, ist die Leidenschaft für Stierkampf und Flamenco.«
Nichtsdestotrotz bot dieser Veranstaltungsort als Neuheit in der Unterhaltungsindustrie aufstrebenden weiblichen Künstlerinnen eine Bühne. Er diente als Passage zwischen Theater und Film und war Geburtshelfer der ersten spanischen Filmstars. Tatsächlich war das erste und populärste Subgenre seit Entstehen des Films die Españolada, ein »hybrides Genre, romantische Komödie oder Melodrama mit regionalem, vor allem andalusischem, Tanz und Gesang.« Die Hauptfigur war häufig eine Folclórica (der Star der café cantantes), eine andalusische Sängerin oder Tänzerin, die meist als spanische Romni porträtiert wurde, aber nicht unbedingt selbst eine »Gitana« war.
Der Bezug zu Mérimées »Carmen« war kaum zu leugnen, aber das spanische Kino musste sich die Figur zu eigen machen und sie »spanisch« gestalten. Obwohl nur wenige spanische Filme direkte Adaptionen der Oper »Carmen« waren, etablierte die Españolada eine Art Dialog mit diesem fiktionalen Charakter eines französischen Autors, indem sie die Figur modifizierte, damit sie besser die Nation repräsentierte. Unamuno äußerte eine generelle Kritik an einem folklorisierenden Porträt Spaniens, das von einem ausländischen Pinsel ausgeführt worden war und dennoch von Spanier_innen selbst angeeignet wurde.
Darüber hinaus verbinden die Folclórica stereotype Charakteristika der französischen »Carmen« mit neuen Eigenschaften, etwa eine sie reinigende Gottesfürchtigkeit. Auf diese Weise wird die volkstümliche und implizite Romni zu einer schönen, leidenschaftlichen Frau, die singt und Flamenco tanzt, aber auch mit einer christlichen Moral ausgestattet ist, die sie davor bewahrt, eine Femme fatale zu werden – eine Figur, die von Kulturkritikern und geistigen Eliten verachtet wird.
Die Filmhandlung ist strukturiert wie eine Verwicklungskomödie, ein Melodrama, in dem die Protagonistin mit der Mehrheitsgesellschaft in Berührung kommt. Sie verliebt sich in einen Mann, der eine wichtige Position in dieser Gesellschaft einnimmt, und dieser Beziehung zuliebe distanziert sie sich von ihrer Herkunft und passt sich an die vorherrschende Kultur an. In der Begegnung der beiden Kulturen kommt es zu einem Austausch: Die »gezähmte« Romni wird Teil der Mehrheitsgesellschaft, die sie mit ihrer Anmut bereichert.
Eine solche Konstruktion der »Gitano«-Figur ähnelt dem Phänomen des Blackfacing in den USA in dem Versuch, ethnische Differenz für die Mehrheit der Zuschauer_innen zugänglicher zu machen. Tatsächlich gehörten die meisten Protagonistinnen der Españoladas der Mehrheitsgesellschaft an. Zu den wenigen Ausnahmen gehören etwa Pastora Imperio, Carmen Amaya und Lola Flores. Von diesen galt nur Lola Flores als Folclórica. Pastora Imperio gehörte zur Prä-Folclórica-Generation (frühes 20. Jahrhundert) und Amaya sieht sich als Flamencotänzerin, nicht als Schauspielerin oder Sängerin der spanischen Copla [Genre der spanischen Volksmusik].
Auf diese Weise konnte sich das Publikum leicht mit den Protagonistinnen identifizieren (mehrheitlich weiße Frauen, die eine Romni spielten), und infolgedessen wurden Elemente von »Zigeunerhaftigkeit« als volkstümliches Element in die Konstruktion von Nationalidentität aufgenommen. Ein aussagekräftiges Beispiel hierfür ist »Morena Clara« (Spanien, 1936) von Florián Rey, einer der erfolgreichsten Filme des Subgenres mit Imperio Argentina, einer berühmten weißen Schauspielerin, als Folclórica. Sie spielt Trini, eine junge Romni, die sich in einen Anwalt verliebt, den sie bei einer Gerichtsverhandlung kennenlernt, bei der sie (dem Stereotyp entsprechend) wegen eines kleinen Diebstahls angeklagt ist. Der Anwalt ist aufgrund ihrer ethnischen Herkunft beunruhigt, doch sie macht während des Films eine Verwandlung durch, und schließlich erwidert er ihre Liebe, denn »sie ist ebenso keine Zigeunerin mehr wie die Volants ihres Kleides.« Diese Äußerung zeigt, dass Trinis »Zigeunerhaftigkeit« als eine Art Kostümierung verstanden wird, die bei Bedarf abgelegt werden kann, und Assimilation deshalb als ein nur natürlicher Prozess verstanden wird.
Federico García Lorcas dunkle Vision
Die folkloristische Interpretation von Rom_nja, wie sie von den Españoladas vorangetrieben wurde, findet ihren Widerpart in der »gitanophilen« Welle, als deren bekanntester Vertreter Federico García Lorca zu nennen ist. Im Gegensatz zur vor allem unterhaltsamen Darstellung von Roma-Charakteren geht es dem Schriftsteller darum, den Flamenco zu retten und im Zuge dessen auch die Roma-Community vor den abwertenden Projektionen der geistigen Eliten des Fin de Siècle zu schützen.
Federico García Lorca bezieht sich, wie unter anderem auch Manuel de Falla, auf seiner Suche nach künstlerischer Authentizität und Unverfälschtheit auf den nachdenklichen und fatalistischen »Gitano« als Verkörperung der spanischen Seele. Seiner Ansicht nach symbolisiert die Roma-Figur das Wesen des Spanischen. Wie Lorca schreibt:
»Der Gitano ist der Höchste, Tiefste, Aristokratischste meines Landes. Er repräsentiert die Lebensweise am Vollkommensten und trägt die Glut, das Blut und das Alphabet universeller andalusischer Wahrheit.«
Nach Lorca sind Rom_nja die Wächter_innen der andalusischen Identität, die für ganz Spanien bedeutsam ist.
Lorcas Vision inspirierte auch seine »Zigeunerromanzen« (»Romancero Gitano«, 1928) – eine seiner bekanntesten Gedichtsammlungen, in der eine traumartige andalusische Landschaft beschrieben wird, mit spanischen Rom_nja als Protagonist_innen – und eine Serie wichtiger Kulturveranstaltungen, wie 1922 den Flamencogesangswettbewerb Concurso de Cante Jondo in Granada.
Hauptanliegen dieses immer noch abgehaltenen Wettbewerbs war es, den Flamenco bekannter zu machen, und zwar nicht nur als eine Form der Unterhaltung in den café cantantes, sondern auch durch seine Überführung von der populären Kultur in die Hochkultur. Derartige Bestrebungen wirkten sich auch auf die Repräsentation von Rom_nja im Film aus, die sich von heiter und farbenfroh zu dunkel und nachdenklich wandelte.
Eine derartige Veränderung zeigt sich in »María de la O« (Spanien, 1936) von Francisco Elías, mit der die Roma-Flamencotänzerin Carmen Amaya in der Hauptrolle debütierte.5 Amayas Darstellung von María unterscheidet sich sehr von der folkloristischen Art, wie sie in der Zeit üblich war. Der Regisseur nutzt Amayas Tanzkünste und fügt verschiedene Tanzszenen in die Handlung ein, bei denen das Publikum ihre innovativen Flamenco-Tanztechniken bewundern kann.
Die künstlerischen Fähigkeiten Amayas sind jedoch nicht die einzigen Veränderungen gemäß des neuen Paradigmas in der Darstellung von Rom_nja. Auch ihre Ernsthaftigkeit und Sittsamkeit entsprechen Lorcas Vorstellungen. Zudem bedient sich Amaya selbst dieser exotischen Fantasie, um ihre eigene Rolle zu gestalten, wenn sie, die in Barcelona geboren wurde, auf ihre andalusischen Wurzeln verweist, weil diese Erzählung den Vorstellungen der Mehrheit mehr entspricht.
Obwohl diese Interpretationen eine Alternative zur pittoresken Darstellungen von Rom_nja sind, ist auch diese Lesart problematisch. Lorcas Vorstellung von einer Community, die einen Beitrag zur Ausbildung der Nationalidentität leistet, verbessert die Sichtweise auf Rom_nja in der Kultur, aber sie projiziert zugleich eine neue Erwartungshaltung, die sich nun auf Ernsthaftigkeit konzentriert.
Jo Labanyi beschreibt die Ausbildung einer Nationalkultur als Kunstgriff: »Die Entwicklung eines Konzepts von Nationalkultur wird begleitet von der Mythisierung der Volkskultur als Ausdruck der nationalen Seele.«6 Zwei Strategien befördern diese Prozesse: Unsichtbarmachung (kulturelle Ausdrucksmöglichkeiten marginalisieren) und/oder Kannibalisierung (einige volkstümliche Formen werden in den nationalen kulturellen Diskurs aufgenommen). Lorcas Arbeit (und die seiner Generation) hat die Tendenz, Folklore zu bewahren und zugleich zu veredeln – und so ein Artefakt zu kreieren, das als Alternative zur herkömmlichen Wahrnehmung präsentiert wird.
Zusammengefasst existieren zwei Paradigmen der Roma-Repräsentation im spanischen Kino nebeneinander: der pittoreske Ansatz der Folclórica, in der die Roma-Figur meist an die Mehrheitsgesellschaft assimiliert ist, und der ernste Ansatz, der von einer stoischen Darstellung von »Zigeunerhaftigkeit« bestimmt ist und deren Authentizität und Unverfälschtheit reflektiert. Obwohl die pittoreske Darstellung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr beliebt war, wurde sie in den letzten Jahrzehnten der Franco-Diktatur nach und nach durch den ernsten Ansatz ersetzt.
Auseinandersetzungen mit Modernität
Es lässt sich kein genaues Datum für diese Veränderung in der Darstellung von Rom_nja fixieren. Der Übergang zu einer anderen, ethnografischeren Sprache in der Darstellung der »Gitano«-Community lässt sich, denke ich, mit der Premiere von Francisco Rovira-Beletas »Los Tarantos« (Spanien, 1963) mit Carmen Amaya in der Hauptrolle festlegen.
Spanien verließ in den 1960er Jahren seine selbstauferlegte Isolation und beteiligte sich sichtbar im kapitalistischen System. Die Modernisierung des Landes und das Wirtschaftswachstum stellte Spanien mit anderen europäischen Mächten gleich. Der Tourismussektor wurde zu einer der am schnellsten wachsenden Industrien mit den höchsten Einnahmen. Diese Entwicklung hatte große Auswirkungen auf die Gesellschaft, ihre Werte und ihre sozialen Beziehungen. Die Anwesenheit ausländischer Tourist_innen in Spanien entließ die spanische Gesellschaft ein wenig von ihren strengen katholischen Moralvorstellungen und ermöglichte neue soziale Interaktionen.
Bemerkenswerterweise warb Spanien für sich selbst mit dem eingängigen, vom Tourismusminister Manuel Fraga geprägten Slogan »Spanien ist anders«, der sich nicht nur auf die facettenreiche Landschaft bezog, sondern vor allem auf exotistische Fantasien, denen sich Reisende seit dem 19. Jahrhundert hingaben.
Die Art und Weise, wie »Gitanos« in »Los Tarantos« dargestellt werden, verdeutlicht, dass sie zugleich als Ware gehandelt wurden, die von den Tourist_innen konsumiert wird, die gefahrlos exotische Erfahrungen machen wollen, wie auch als letzte Bastion eines von der Zivilisation unberührten, reinen und unschuldigen Ortes. Der Regisseur übernimmt und bekräftigt auf diese Weise Lorcas Vorschlag, die Roma-Community als Wächterin einer höheren Moral darzustellen, die von den Prozessen der Industrialisierung, wie sie überall im Land stattfinden, nicht korrumpiert ist.
Francisco Rovira-Beleta fügt der ethnografischen Darstellung von Rom_nja eine neue Ebene hinzu, indem er dem Spielfilm »Los Tarantos« etwas verleiht, was er »dokumentarischen Touch« nennt. Der Film spielt in Amayas Geburtsort, Somorrostro, eine wie Montjuïc traditionelle »Zigeunersiedlung«. Wobei es zum Zeitpunkt des Filmdrehs kaum noch Roma-Anwohner_innen in Somorrostro gab. Im ethnografischen Anspruch des Regisseurs zeigt sich die Nostalgie, mit der seine Generation auf die Vergangenheit blickt. Regina Bendix erläutert das folgendermaßen: