Flamenco

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Antonio Campos Muñoz

Granada Flamenca: die große Missachtete

Enrique Linares | Group of Roma flamenco artists performing "Zambra Gitana" in Granada | Postkarte | Spanien | 1910 | fla_00023 Rights held by: Enrique Lineares (photo) I Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) | Licensed by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) I Licensed under: Rights of Use | Provided by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (Jerez de la Frontera/Spain)

Der Flamenco wurde in der spanischen Region Andalusien geboren. Dank der Mischung der Kulturen und der Genialität seiner Schöpfer_innen entstanden Formen, die weltweit einzigartig sind. Der Westen Andalusiens mit dem sogenannten »Dreieck Sevilla, Jerez de la Frontera, Cádiz« hat durch seinen bedeutenden Beitrag der Cantes (Lieder) im Stil der Soleá und der Seguiriya (Formen des Flamenco) unbestreitbar großen Anteil daran. Die Geschichtsschreibung hat jedoch oft übersehen, dass es auf der anderen Seite der andalusischen Landkarte noch einen Flecken gibt, der zutiefst vom Flamenco geprägt ist: Granada. Eine erstklassige Flamenco-Hochburg, Schöpferin einer großen Vielfalt von Flamenco- und Gitano-Liedern und Vorreiterin im Verständnis von Flamenco als einer professionellen Kunst.

Hier etablierten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele Cantes aus ursprünglich familiärem Umfeld. Es war eine Phase der Transformation, Bildung und Festigung der verschiedenen Palos (Flamencostile), Formen, Rhythmen, Instrumentierungen, Darbietungsformen, Abläufe und Kadenzen ... ein Prozess, der noch heute andauert.

Zu jener Zeit sticht besonders die Figur des Künstlers, Unternehmers und Geschäftsmannes Silverio Franconetti hervor, der den Flamenco professionalisierte sowie salonfähig und damit der breiten Öffentlichkeit zugänglich machte.

»Die Geschichtsschreibung hat oft übersehen, dass es auf der anderen Seite der andalusischen Landkarte noch einen Flecken gibt, der zutiefst vom Flamenco geprägt ist: Granada.«

Und wieder ist die Geschichtsschreibung ungerecht, wenn sie einige hervorhebt und andere vergisst. Nur wenige wissen, dass bereits Jahre bevor Franconetti seine renommierten Cafés Cantantes eröffnete, ein spanischer Rom und Visionär namens Antonio »El Cujón« den Flamenco in Granada berühmt gemacht hatte. Auf der Suche nach jener Kunst der Gitanos bereisten dann viele den »Camino del Sacromonte«, damals »Monte Valparaíso«.

Granada- Danza de Gitanos | Postkarte | Spanien | 1880 - 1910 | fla_00005 Licensed by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) I Licensed under: Rights of Use | Provided by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (Jerez de la Frontera/Spain)

In den 1820er Jahren wurde Granada dank der französischen und englischen Schriftsteller der Romantik in ganz Europa bekannt, und mit der Stadt auch die Gitanos. So reisten die romantischen Europäer_innen durch Südspanien und Nordafrika, auf der Suche nach dem Exotischen, dem »Orientalischen«. Diese internationale Bekanntheit brachte die Behörden und einflussreichen Leute Granadas dazu, für ihre Feierlichkeiten Rom_nja zu engagieren, um die Besucher_innen der Stadt zu unterhalten.

Die granadinischen Gitanos waren bereits bekannt für ihre Musik und ihre besondere Art zu tanzen – regionale Vorstufen des Flamenco, aus denen sich später andere Flamencovarianten entwickeln sollten. Granada ist seit der Ankunft der Rom_nja und dank der Vermischung mit anderen Kulturen (arabischen und jüdischen) die Wiege des Flamenco und des Cante Andaluz.

Photography of a Roma flamenco group "Zambra Gitana" in a cave. | Postkarte | Spanien | 1900 | fla_00022 Licensed by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) I Licensed under: Rights of Use | Provided by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (Jerez de la Frontera/Spain)

Zu dieser Zeit erkannte Antonio Torcuato Martín, genannt »El Cujón«, ein Gitano aus Ítrabo, ein Schmied, Cantaor, Bailaor und Gitarrist, dass mit diesem Transfer von Künstler_innen, Romantikreisenden, Aristokrat_innen und vielen mehr ein kleines Geschäft zu machen war, und er beschloss, die Künstler_innen aus den Höhlenvierteln des Berges im Untergeschoss seiner Schmiede auf der Plaza del Humilladero zu versammeln. Dort kreierte er ein einzigartiges Tanzspektakel, das auf Bräuchen von Roma-Hochzeiten basierte und das er als Zambra gitana del Sacromonte einführte. Zwischen 1840 und 1850 schon war die Zambra Granaína als Bezeichnung für eine Serie von Bailes Gitanos bekannt, die sich an den Hochzeitstänzen orientierten. Ab 1961 dann war das Wort Zambra auch in spanischen Theatern zu vernehmen.

Zu den Künstler_innen, die mit El Cujón zusammenarbeiteten, gehörten unter anderem La Gaviria, La Cogollera, La Follaica, Diego el Talones, Frasquirri und seine Frau La Pella, La Saena, La Chulenga, La Primera Golondrina, La Chata, La Jampona, La Cotorrera, Manuel Tapia und Marín el Cañero.

unknown | Photography of the Roma flamenco dancer " La Golondrina" | Postkarte | Spanien | 1920 - 1930 | fla_00006 Licensed by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) I Licensed under: Rights of Use | Provided by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (Jerez de la Frontera/Spain)

Es war die erste Zambra im Zentrum der Stadt. Die erste auf dem »Camino del Sacromonte« war jedoch die der Brüder Manolo und Juan Amaya.1

Anlässlich eines Besuchs von Isabella II. in Granada wurden 1862 von Charles Clifford die ersten Flamencofotos in der Alhambra gemacht. Im selben Jahr berichtet Jean Charles Davillier von der Berühmtheit der Bailes Gitanos del Sacromonte.2

Zambra Gitana 1890 | Photographie | 1890 | fla_00240 Rights held by: Gonzalo Montaño Peña (reproduction) | Licensed by: Gonzalo Montaño Peña I Licensed under: CC-BY-NC-ND 4.0 International I Provided by Gonzalo Montaño Peña - Private Collection

Man stelle sich vor, welchen Eindruck es zu jener Zeit gemacht haben muss, in Granada anzukommen und die Alhambra und eine Stadt von solcher Schönheit vorzufinden. Und eine Roma-Gemeinschaft, die in Höhlen lebte, im Fels, hungrig und oft erschöpft, zwischen riesigen Agaven und Feigenkakteen. Angesichts dieser primitiven Lebens- und Gefühlswelten waren alle sprachlos.

Wer nach dem »Orientalischen« suchte, fand es wie in einem psychedelischen Traum. Künstler, Musiker und Schriftsteller wie Gustave Doré, Charles Clifford, Jean Charles Davillier, Claude Debussy, Michail Iwanowitsch Glinka und viele andere waren dementsprechend verzückt.

Drawing of a group of Roma artists performing a dance | Postkarte | Spanien | 1890 | fla_00039 Rights held by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) | Licensed by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) I Licensed under: Rights of Use | Provided by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (Jerez de la Frontera/Spain)

Die Zambra diente selbst den größten Flamencokünstler_innen als Quell der Inspiration. Einer von ihnen war Antonio Chacón, der viel von den Künstler_innen Granadas lernte, vor allem aber von der Flamencosängerin África la Peza.3

Die ersten Zambras bildeten also die verschiedenen Stufen einer Roma-Hochzeit szenisch in einer Reihe von Tänzen nach, die es bis dahin nicht gab. Deshalb sprechen wir von der ersten Choreografie des Flamenco.

Was die Instrumentierung betrifft, so muss man betonen, dass Granada einige der besten spanischen Schulen für Saiteninstrumente hatte, was die Zambras gegenüber dem Flamenco anderer Gegenden – oder den dortigen Vorstufen des Flamenco – noch besonderer machte. Die Zambras wurden von Laute, Bandurria, Tamburin und Kastagnetten gespielt: ein arabisches Erbe, ohne Zweifel.

Enrique Linares | Zambra Gitana at the Roma Neighborhood in Granada | Postkarte | Spanien | 1910 | fla_00026 Rights held by: Enrique Lineares (photo) I Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) | Licensed by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) I Licensed under: Rights of Use | Provided by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (Jerez de la Frontera/Spain)

Was die Cantes betrifft, muss man sagen, dass sie damals in der Gruppe gesungen wurden und es daher keinen Raum für eine Individualisierung gab; die melodische Mimik, die herausgearbeitet wurde, ließ wenig Freiraum für Entfaltung. Wir nehmen also an, dass die Variationen in diesen Cantes damals minimal waren im Vergleich zu denen von heute.

Das Repertoire dieser Zambras basierte daher hauptsächlich auf zwei Arten von granadinischen Cantes: auf den Tangos und dem Fandango abandolao dieser Gegend.

Granada, die Stadt und auch die Provinz, sind sehr reich an regionalen Fandangos, was zu einer großen folkloristischen Vielfalt führte und auch bedeutende Persönlichkeiten wie Frasquito Yerbabuena, Paquillo el Gas, El Calabacino, El Tejeringuero oder Rafael Gálvez hervorbrachte.

Dennoch sind es zweifellos die Tangos, die Granadas großen Flamenco-Schatz ausmachen und die in einer stilistischen Vielfalt existieren, die jene der anderen Regionen übertrifft und die zu Unrecht vergessen oder in vielen Flamencotexten nur nebenbei erwähnt wurde. Hervorzuheben sind die Tangos de Íllora, Tangos de la Morería, Tangos de »El Petaco«, Tangos de la Vega, Tangos Picantes, Tangos Paraos, Tangos del Camino, Tangos del Cerro, Tangos del Rio, Tangos de la Volaera, Tangos de la Flor, Tangos Canasteros und Salve Gitana del Sacromonte.

Neben den bereits erwähnten Fandangos und einheimischen Tangos wurden in den Zambras im »Camino del Monte«, je nach Bedarf und Bedingungen, viele Garrotines und Farrucas getanzt und gesungen. Später kamen unter anderem Seguiriyas, Soleares und Fandangos naturales hinzu.

Rafael Señán | Photography of various Roma people in Granada | Postkarte | Spanien | 1890 - 1910 | fla_00038 Rights held by: Rafael Señán (photo) / Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) | Licensed by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) I Licensed under: Rights of Use | Provided by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (Jerez de la Frontera/Spain)

Man kann nicht sagen, dass der Flamenco in Granada bereits damals so praktiziert wurde, wie wir ihn heute kennen, aber die verschiedenen Flamencostile gab es in Granada schon, und in einigen Fällen viele Jahre eher als in anderen Flamencogegenden – zum Beispiel die regionalen Tangos, die bis zu den Auftritten von »El Mellizo«, Manuel Torre und Chacón, noch nicht überall bekannt waren.

Die Flamencologie hat diese granadinischen Vorläufer des Flamenco absichtlich und zu Unrecht ignoriert. Wurden in Granada wirklich Vorstufen des Flamenco gesungen, bevor er sich in anderen Regionen entwickelte? Die Antwort darauf ist die Zambra, die primitive, die archaische. Es gibt mehrere Flamencovorstufen, die in Granada eher auftreten als in anderen Flamencoregionen. Nicht nur die Zambras, sondern auch eine Vielzahl von Cantes, die in der gesamten Provinz verbreitet waren. Bereits in den 1840er Jahren präsentierte Granada europäischen Romantiker_innen den Flamenco als heimisches Produkt dieses Landstrichs, als Flamenco de Graná.

  • unknown | Roma cave in Granada | Postkarte | Spanien | 1880 - 1900 | fla_00001 Licensed by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) I Licensed under: Rights of Use | Provided by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (Jerez de la Frontera/Spain)
  • Rafael Garzón | general view of the Roma neighborhood in Granada | Postkarte | Spanien | 1890 - 1920 | fla_00002 Rights held by: Rafael Garzón (photo) / Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) | Licensed by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) I Licensed under: Rights of Use | Provided by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (Jerez de la Frontera/Spain)
  • unknown | Roma Gitanos family at their cave door in Granada | Postkarte | Spanien | 1900 - 1915 | fla_00013 Licensed by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) I Licensed under: Rights of Use | Provided by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (Jerez de la Frontera/Spain)
  • Enrique Linares | Group of Roma flamenco artists in Granada | Postkarte | Spanien | 1910 | fla_00014 Rights held by: Enrique Lineares (photo) I Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) | Licensed by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) I Licensed under: Rights of Use | Provided by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (Jerez de la Frontera/Spain)
  • unknown | Gitanos de Granada postcard | Postkarte | Spanien | 1850 - 1900 | fla_00027 Licensed by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (reproduction) I Licensed under: Rights of Use | Provided by: Centro Andaluz de Documentación del Flamenco (Jerez de la Frontera/Spain)

Rights held by: Antonio Campos Muñoz (text) — Maria Meinel (translation) | Licensed by: Antonio Campos Muñoz (text) — Maria Meinel (translation) | Licensed under: CC-BY-NC-ND 4.0 International | Provided by: RomArchive