Einmal, ich weiß nicht genau, wann das war, ich hätte auch keinen Anhaltspunkt dafür, entdeckte ich bei einem dieser Treffen eine Person, die meine Aufmerksamkeit sofort fesselte. Dieser Mensch hob sich von allen anderen ab. Er hatte eine faszinierende Aura, und seine Anwesenheit blieb von niemandem unbemerkt, zumindest nicht von mir, und man wollte meinen, auch nicht vom Rest. Damals wusste ich nicht einmal genau um unser beider Verwandtschaftsverhältnis.
Dieser faszinierende Mensch, den ich als herzlich und immer lachend erinnere, sang, spielte Gitarre und tanzte ausgelassen und anders als die anderen. Er hatte einen mitreißenden Charme und wurde bald zur Hauptfigur des Abends. Und dieser natürliche Status wurde von allen akzeptiert.
Dieses Männlein, er war nicht eben groß und kräftig, trug elegante und für die damalige Zeit modische Kleidung, die seine unglaublich blauen Augen betonte, und bewegte sich ungezwungen und mit übernatürlicher Gewandtheit unter den Leuten. Sein Auftreten grenzte an die Arroganz eines Menschen, der sich von Gottes Hand berührt weiß und sich dessen auch würdig fühlt, hatten ihm seine Bemühungen, sein Talent und seine Gewitztheit doch einen sozialen Status verschafft, der über dem seiner Konkurrent_innen, Verwandten und Dorfnachbar_innen lag.
Dieser kleine große Mann, der mich so beeindruckt hatte, war mein Onkel, der Cantaor (Sänger) Juan Peña »El Lebrijano«, ein Bruder meines Vaters, mit dem mich im Laufe der Jahre musikalisch und auch persönlich vieles verband.
In frühen Phantasien schon sah ich ihn in seinem Ruhm wie eine Sonne, um die wir anderen planetenhaft kreisten.
Seine Auftritte wurden, bei allem Auf und Ab, sehr gefeiert, und innerhalb von wenigen Jahren wurden wir als seine Verwandte – ohne es zu bemerken – auch für den Rest der Welt zum Bruder, zur Mutter, zum Cousin oder Neffen des Juan »El Grande«, wie er von einem der angesehensten Flamencologen und Kritiker jener Zeit, José Antonio Blázquez, genannt wurde.
In frühen Fantasien schon sah ich ihn in seinem Ruhm wie eine Sonne, um die wir anderen planetenhaft kreisten, vom Glanz seiner Popularität unweigerlich beschienen. Nur, weil wir zu seiner Familie gehörten, fühlten auch wir uns beachtet und geliebt, wenn natürlich auch nicht in gleichem Maße.
Dieser andalusische Prophet setzte uns, Erwachsene wie Kinder, manchmal in den großen Saal seines Hauses vor die beste Hi-Fi-Anlage der damaligen Zeit, um uns die Wunder vorzuspielen, die er aus Madrid mitgebracht hatte. Wie gesagt, die Verehrung der Musik hatte die Grenzen des Normalen – auch der Orthodoxie – in meiner Familie immer schon überschritten, dennoch waren die Ausdrücke des Staunens und der Freude in den Gesichtern der Ältesten an sich schon ein wahres Spektakel, und das war ihnen nicht zu verdenken.
Die Tonaufnahmen von Onkel Juan waren echte Meisterwerke, gewürzt mit den besten und neuesten Zutaten der jeweiligen Zeit: von einer Instrumentierung im Seguiriya-Stil durch den Maestro Manuel Lillo Torregrosa über die Gitarrenstücke von Niño Ricardo und Paco de Lucía, die von Manolo Sanlúcar, meinem Vater Pedro Peña, Enrique de Melchor oder Paco Cepero, bis hin zum Gesang von Rocío Jurado, María Jiménez, einem Nonnenchor oder dem Orquesta Andalusí de Tánger. Der Überraschungen war nie genug. Die Welt folgte ihrem Lauf, Onkel Juan aber hatte seinen eigenen, und nichts und niemand hielt ihn auf.
Abgesehen vom einen oder anderen strategischen Experiment der einen oder anderen Plattenfirma wurde der Flamenco damals von gewöhnlichen Cantaores noch nicht als Gesangskunst begriffen. Und mein Onkel, der mit dem Gewöhnlichen nichts gemein hatte, fand heraus, dass er von dort aus sowohl künstlerisch als auch intellektuell zu erschließen war.
Wie gesagt, das Bedürfnis, mit der Zeit zu gehen, war in meiner Familie lange schon verankert, in meinem Onkel aber waren zudem sämtliche künstlerischen Tugenden vereint: Neugier, Opferbereitschaft, Beständigkeit, Mut und natürlich die außergewöhnliche Stimme und das große Talent, das Gott ihm in die Wiege gelegt hatte.
Sein erstes großes Album war »De Sevilla a Cádiz« (›Von Sevilla nach Cádiz‹), für welches die Gitarristen Niño Ricardo und Paco de Lucía erstmals zusammenspielten. In dieses »elementare« Album mit Gesang und Gitarre ließ Onkel Juan, damals fast noch ein Kind, bei der meisterhaften Interpretation der heiligsten Lieder des traditionellen Repertoires der andalusischen Gitanas/os sein ganzes Wissen einfließen.
Mit der Ungezwungenheit seiner Stimme und seiner Auffassung von Rhythmus rückte er schnell in den Focus aller Aficionados. Ich glaube manchmal, er hatte derart viel in diese Arbeit hineingegeben, dass er sich nach deren Vollendung leer genug fühlte, um weitere Schritte ernsthaft zu überdenken. Er hatte nun zwar in goldenen Lettern dargelegt, wer er war und woher er kam, aber er hatte immer noch viele Bedenken auszuräumen und wusste, dass dies nur der Beginn einer langen Karriere sein konnte, die noch nicht geklärt war.
Ohne den traditionellen Cante (Gesang) seiner Wiege zu vergessen, begann er sofort, neue, avantgardistische Wege einzuschlagen, die noch niemand vor ihm erkundet hatte. Es reichte ihm nicht mehr, wie noch in »De Sevilla a Cádiz«, dass er besser sang als die meisten Cantaores; sein ruheloses und ehrgeiziges Wesen kannte kein Verweilen, noch war er ein Mann, der nachließ.