Die Versklavung von Rom_nja bedeutet nicht mehr und nicht weniger als das, was der Begriff besagt: Rom_nja wurden nicht wie Menschen behandelt, sondern wie »bewegliches Gut« oder Arbeits- beziehungsweise Zuchttiere. Fortwährend mussten sie damit rechnen, gewogen oder auf ihre körperlichen Qualitäten hin beurteilt zu werden, um die Arbeitskraft abzuschätzen und den Wert für den Kauf oder Verkauf zu bestimmen. Rom_nja wurden auch von Eigentümer_innen auf die nächste Generation weitervererbt oder einfach neuen Besitzer_innen geschenkt oder überlassen.
Die Abschaffung der Sklaverei der Rom_nja in Rumänien war lediglich ein Rechtsakt.
Die Abschaffung der Sklaverei der Rom_nja in Rumänien war lediglich ein Rechtsakt, der keine nennenswerten Auswirkungen auf die wirtschaftlichen oder geistigen Bedingungen der ehemaligen Sklav_innen hatte. Rom_nja lebten weiterhin auf dem Land ihrer ehemaligen Besitzer_innen, in ihren alten unterirdischen Hütten, in vollkommener wirtschaftlicher Abhängigkeit von ihrer ehemaligen Herrschaft. Sie arbeiteten genauso schwer wie vorher und lebten unter den gleichen unmenschlichen Bedingungen, in erbärmlichen Unterkünften und von etwas bitterem Brot als Gegenleistung. Die einzigen Rom_nja, die sich mehr oder wenig selbst unterhalten konnten, waren die nomadisierenden Rom_nja. Sie waren Sklav_innen des Königs und genossen eine gewisse Bewegungsfreiheit, wodurch sie es vermochten, ihr traditionelles Handwerk auszuüben und sich dadurch den Lebensunterhalt zu sichern.
Zudem entstand nach der Abschaffung der Sklaverei auch keine Politik, die die Integration von befreiten Rom_nja zum Inhalt hatte, ungeachtet der Tatsache, dass viele der Intellektuellen, Künstler, Politiker und Helden im Unabhängigkeitskampf (1877) und im Ersten und Zweiten Weltkrieg Rom_nja waren. Für die meisten ehemaligen Roma-Sklav_innen bestand die einzige Möglichkeit, sich in die rumänische Gesellschaft zu integrieren, in der vollständigen kulturellen Assimilation. Das hieß: Sie mussten rumänisch werden und ihre ethnischen Wurzeln verleugnen. Das sicherte ihnen jedoch den Zugang zu Schulen, zum Arbeitsmarkt und die Möglichkeit zu heiraten.
Doch die Erinnerung an die Sklaverei, selbst wenn sie nur im dunklen Ozean des Unbewussten vorhanden war, wurde durch das negative Image der Rom_nja in der rumänischen Gesellschaft und im rumänischen kollektiven Gedächtnis immer wieder aktualisiert – und weil das einzige positive Rollenmodell in Rumänien das der Rumän_innen selbst war, entwickelten die Rom_nja eine tief verankerte, negative, ethnische, allgemeine Selbstwahrnehmung, die sich bis zur ethnischen Selbst-Stigmatisierung oder sogar zum ethnischen Selbsthass steigern konnte.
Was die Roma-Literatur auf Romani betrifft, so war die Zeit von der Abschaffung der Sklaverei in den Jahren 1855/56 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs von einem paternalistischen Interesse an der mündlichen Tradition von Rom_nja geprägt. Nicht-Roma-Wissenschaftler sammelten Geschichten, Volksmärchen und andere mündlich überlieferten Texte, manchmal sogar, ohne die Quelle oder die Herkunft der Texte zu dokumentieren oder zu nennen. Ganz zu schweigen von der Nennung der Erzähler_innen oder der Gruppe, zu der sie gehörten (Remmel 2007, 17–22; Eder-Jordan 2011, 147 f.). Franz Remmel, ein aus dem rumänischen Hunedoara stammender Journalist und Ethnologe, veröffentlichte zahlreiche Bücher und Artikel über Roma-Kultur und -Literatur und nennt als Sammler von Roma-Geschichten, Volksmärchen, Gedichten, Sprichwörtern und anderen mündlichen Texten Bogdan Petriceicu Haşdeu, Barbu Constantinescu, Martin Samuel Möckesch, Hugo von Meltzl, Heinrich von Wlislocki, Moritz Rosenfeld und Anton Herrmann. Er bezeichnet diese literarische Periode als »Zeit der Bevormundung« (Remmel 2007, 17–53).
Koryphäen der »Zigeunerforschung« stürzen vom Sockel: Als hoch problematisch erweist sich, um ein Beispiel zu nennen, das umfangreiche Werk der berühmten Forscherpersönlichkeit Heinrich von Wlislocki (1856-1907). Ebenso fatal ist die unkritische Rezeption und Mythenbildung rund um Wlislocki in der Wissenschaftsgeschichte (Ruch 1986, 196-284). Die zum Teil vernichtende Kritik Martin Ruchs betrifft Wlislockis empirische Arbeitsmethode, fehlerhafte Forschungsergebnisse, den unkorrekten Umgang mit Quellen und Wlislockis Äußerungen über Rom_nja, die zwischen »romantischem Hingezogensein und arroganter Abwehr« (Ruch 1986, 197) schwanken. Heinrich von Wlislocki war, ganz im Gegensatz zur gängigen Meinung, in keiner Weise Spezialist für Roma-Folklore, -Sprache und -Literatur. Seine Bücher sind darüber hinaus voll negativer Stereotype, vorurteilsbeladenen Denkens und rassistischer Ansichten über Rom_nja.
In der Geschichte der Rom_nja in Rumänien gab es nur einen kurzen Lichtblick – die Zwischenkriegszeit. In dieser Zeit unterstützte die Roma-Bewegung bereitwillig die Unierung der rumänischen Länder (1918), außerdem wurden die ersten Roma-Organisationen und Roma-Zeitschriften gegründet und es erschienen erste Werke von Roma-Literatur. Remmel nennt diese literarische Periode »Das ethnische Erwachen« (Remmel 2007, 54–74). Die Texte dieser Zeit besaßen die unterschiedlichsten Themen, wie zum Beispiel die politische Rolle der Rom_nja in der Monarchie und im Liberalismus (bei Nicolae Lenghescu Cley und Marin I. Simion) oder die Verbreitung der Rom_nja in der Welt. Man schrieb aber auch über das »joie de vivre« (G. A. Galaz) oder über die Herausforderungen und Gefahren des mobilen Lebens der rumänischen Rom_nja (unter anderem G. Mateescu-Wally und Barbu Stanciu-Dolj). Eine der berühmtesten Personen dieser Zeit war Professor Constantin S. Nicolaescu Plopşor, Historiker, Archäologe und Sammler von Roma-Geschichten und -Volksmärchen, die er auch veröffentlichte. Er war auch Schriftsteller und Herausgeber der Literaturzeitung »Biblioteca O Rom«, in der er unter anderem Lieder und Fabeln auf Romani und Rumänisch abdruckte. (Remmel 2007, 13, 63–72; Eder-Jordan 2011, 148).
Dieser Lichtblick in der Roma-Kultur und -Literatur Rumäniens währte nur kurze zwanzig Jahre und endete mit dem Nazi-Regime in Rumänien während des Zweiten Weltkriegs. Nachdem die Nazionalsozialisten die Vertreibungspolitik des rumänischen Staates mit Rat und Tat unterstützt hatten, wobei der Staat eine antiziganistische und antisemitische Politik verfolgte, setzte 1942 der Holocaust der Rom_nja in Rumänien ein. Er trug einen furchterregenden Namen: Deportation nach Transnistrien. Während des Roma-Holocausts wurden 25.000 Rom_nja erschossen oder kamen durch Hunger, Kälte und Typhus um.