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Delia Grigore

Roma-Literatur in Rumänien

Eine Übersicht

Die Geschichte der Rom_nja in Rumänien ist geprägt von einem institutionalisierten Anti-Roma-Rassismus oder, anders gesagt, mit einem staatlichen Antiziganismus. Knapp fünfhundert Jahre lang waren die rumänischen Rom_nja Sklav_innen: von 1385, als die Anwesenheit von Rom_nja in Rumänien erstmals dokumentiert wurde, bis 1856, als das letzte Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei in den rumänischen Ländern verabschiedet wurde.

Die Versklavung von Rom_nja bedeutet nicht mehr und nicht weniger als das, was der Begriff besagt: Rom_nja wurden nicht wie Menschen behandelt, sondern wie »bewegliches Gut« oder Arbeits- beziehungsweise Zuchttiere. Fortwährend mussten sie damit rechnen, gewogen oder auf ihre körperlichen Qualitäten hin beurteilt zu werden, um die Arbeitskraft abzuschätzen und den Wert für den Kauf oder Verkauf zu bestimmen. Rom_nja wurden auch von Eigentümer_innen auf die nächste Generation weitervererbt oder einfach neuen Besitzer_innen geschenkt oder überlassen.

Die Abschaffung der Sklaverei der Rom_nja in Rumänien war lediglich ein Rechtsakt.

Die Abschaffung der Sklaverei der Rom_nja in Rumänien war lediglich ein Rechtsakt, der keine nennenswerten Auswirkungen auf die wirtschaftlichen oder geistigen Bedingungen der ehemaligen Sklav_innen hatte. Rom_nja lebten weiterhin auf dem Land ihrer ehemaligen Besitzer_innen, in ihren alten unterirdischen Hütten, in vollkommener wirtschaftlicher Abhängigkeit von ihrer ehemaligen Herrschaft. Sie arbeiteten genauso schwer wie vorher und lebten unter den gleichen unmenschlichen Bedingungen, in erbärmlichen Unterkünften und von etwas bitterem Brot als Gegenleistung. Die einzigen Rom_nja, die sich mehr oder wenig selbst unterhalten konnten, waren die nomadisierenden Rom_nja. Sie waren Sklav_innen des Königs und genossen eine gewisse Bewegungsfreiheit, wodurch sie es vermochten, ihr traditionelles Handwerk auszuüben und sich dadurch den Lebensunterhalt zu sichern.

Zudem entstand nach der Abschaffung der Sklaverei auch keine Politik, die die Integration von befreiten Rom_nja zum Inhalt hatte, ungeachtet der Tatsache, dass viele der Intellektuellen, Künstler, Politiker und Helden im Unabhängigkeitskampf (1877) und im Ersten und Zweiten Weltkrieg Rom_nja waren. Für die meisten ehemaligen Roma-Sklav_innen bestand die einzige Möglichkeit, sich in die rumänische Gesellschaft zu integrieren, in der vollständigen kulturellen Assimilation. Das hieß: Sie mussten rumänisch werden und ihre ethnischen Wurzeln verleugnen. Das sicherte ihnen jedoch den Zugang zu Schulen, zum Arbeitsmarkt und die Möglichkeit zu heiraten.

Doch die Erinnerung an die Sklaverei, selbst wenn sie nur im dunklen Ozean des Unbewussten vorhanden war, wurde durch das negative Image der Rom_nja in der rumänischen Gesellschaft und im rumänischen kollektiven Gedächtnis immer wieder aktualisiert – und weil das einzige positive Rollenmodell in Rumänien das der Rumän_innen selbst war, entwickelten die Rom_nja eine tief verankerte, negative, ethnische, allgemeine Selbstwahrnehmung, die sich bis zur ethnischen Selbst-Stigmatisierung oder sogar zum ethnischen Selbsthass steigern konnte.

Was die Roma-Literatur auf Romani betrifft, so war die Zeit von der Abschaffung der Sklaverei in den Jahren 1855/56 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs von einem paternalistischen Interesse an der mündlichen Tradition von Rom_nja geprägt. Nicht-Roma-Wissenschaftler sammelten Geschichten, Volksmärchen und andere mündlich überlieferten Texte, manchmal sogar, ohne die Quelle oder die Herkunft der Texte zu dokumentieren oder zu nennen. Ganz zu schweigen von der Nennung der Erzähler_innen oder der Gruppe, zu der sie gehörten (Remmel 2007, 17–22; Eder-Jordan 2011, 147 f.). Franz Remmel, ein aus dem rumänischen Hunedoara stammender Journalist und Ethnologe, veröffentlichte zahlreiche Bücher und Artikel über Roma-Kultur und -Literatur und nennt als Sammler von Roma-Geschichten, Volksmärchen, Gedichten, Sprichwörtern und anderen mündlichen Texten Bogdan Petriceicu Haşdeu, Barbu Constantinescu, Martin Samuel Möckesch, Hugo von Meltzl, Heinrich von Wlislocki, Moritz Rosenfeld und Anton Herrmann. Er bezeichnet diese literarische Periode als »Zeit der Bevormundung« (Remmel 2007, 17–53).

Koryphäen der »Zigeunerforschung« stürzen vom Sockel: Als hoch problematisch erweist sich, um ein Beispiel zu nennen, das umfangreiche Werk der berühmten Forscherpersönlichkeit Heinrich von Wlislocki (1856-1907). Ebenso fatal ist die unkritische Rezeption und Mythenbildung rund um Wlislocki in der Wissenschaftsgeschichte (Ruch 1986, 196-284). Die zum Teil vernichtende Kritik Martin Ruchs betrifft Wlislockis empirische Arbeitsmethode, fehlerhafte Forschungsergebnisse, den unkorrekten Umgang mit Quellen und Wlislockis Äußerungen über Rom_nja, die zwischen »romantischem Hingezogensein und arroganter Abwehr« (Ruch 1986, 197) schwanken. Heinrich von Wlislocki war, ganz im Gegensatz zur gängigen Meinung, in keiner Weise Spezialist für Roma-Folklore, -Sprache und -Literatur. Seine Bücher sind darüber hinaus voll negativer Stereotype, vorurteilsbeladenen Denkens und rassistischer Ansichten über Rom_nja.

In der Geschichte der Rom_nja in Rumänien gab es nur einen kurzen Lichtblick – die Zwischenkriegszeit. In dieser Zeit unterstützte die Roma-Bewegung bereitwillig die Unierung der rumänischen Länder (1918), außerdem wurden die ersten Roma-Organisationen und Roma-Zeitschriften gegründet und es erschienen erste Werke von Roma-Literatur. Remmel nennt diese literarische Periode »Das ethnische Erwachen« (Remmel 2007, 54–74). Die Texte dieser Zeit besaßen die unterschiedlichsten Themen, wie zum Beispiel die politische Rolle der Rom_nja in der Monarchie und im Liberalismus (bei Nicolae Lenghescu Cley und Marin I. Simion) oder die Verbreitung der Rom_nja in der Welt. Man schrieb aber auch über das »joie de vivre« (G. A. Galaz) oder über die Herausforderungen und Gefahren des mobilen Lebens der rumänischen Rom_nja (unter anderem G. Mateescu-Wally und Barbu Stanciu-Dolj). Eine der berühmtesten Personen dieser Zeit war Professor Constantin S. Nicolaescu Plopşor, Historiker, Archäologe und Sammler von Roma-Geschichten und -Volksmärchen, die er auch veröffentlichte. Er war auch Schriftsteller und Herausgeber der Literaturzeitung »Biblioteca O Rom«, in der er unter anderem Lieder und Fabeln auf Romani und Rumänisch abdruckte. (Remmel 2007, 13, 63–72; Eder-Jordan 2011, 148).

Dieser Lichtblick in der Roma-Kultur und -Literatur Rumäniens währte nur kurze zwanzig Jahre und endete mit dem Nazi-Regime in Rumänien während des Zweiten Weltkriegs. Nachdem die Nazionalsozialisten die Vertreibungspolitik des rumänischen Staates mit Rat und Tat unterstützt hatten, wobei der Staat eine antiziganistische und antisemitische Politik verfolgte, setzte 1942 der Holocaust der Rom_nja in Rumänien ein. Er trug einen furchterregenden Namen: Deportation nach Transnistrien. Während des Roma-Holocausts wurden 25.000 Rom_nja erschossen oder kamen durch Hunger, Kälte und Typhus um.

Kein Wunder, dass Rom_nja nach dieser Tragödie die ersten Bemühungen des kommunistischen Regimes, sie zu integrieren, willkommen hießen. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wurde den rumänischen Rom_nja die Möglichkeit zur Inklusion in die Mehrheitsgesellschaft eröffnet. Endlich galten sie als den Nicht-Rom_nja gleichberechtigt, das bedeutet, sie erhielten freien Zugang zu Schulen, zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt und zur Gesundheitsfürsorge. Die meisten Rom_nja, die Sklav_innen oder Opfer des Holocausts gewesen waren, begrüßten diese neue Politik, ohne sich zunächst klar darüber zu sein, dass sie dafür mit ihrer vollständigen kulturellen Assimilation einen hohen Preis bezahlen mussten. Nur die traditionellen mobilen Rom_nja akzeptierten die Integrationspolitik nicht freiwillig, denn sie wurden ihres einzigen Besitzes, ihres ererbten Goldes beraubt und gezwungen, sesshaft zu werden und sich kulturell an die Mehrheitsgesellschaft assimilieren.

»Von der Zensur zum Tabu.«

Rom_nja wurden nicht als nationale Minderheit anerkannt und Akkulturation erwies sich als die einzige Möglichkeit, in dieser nationalistischen, ethnozentrischen sozialistischen Gesellschaft Rumäniens zu überleben. Darin unterschied sich die rumänische Gesellschaft vollkommen von den übrigen sozialistischen Diktaturen: Das kosmopolitische, internationalistische kommunistische Jugoslawien beispielsweise erkannte nationale Minderheiten an. Zu ihnen zählten auch die Rom_nja, wodurch die Roma-Literatur Unterstützung erhielt und sich entwickeln konnte. Der nationalistische, ethnozentrische Sozialismus Rumäniens dagegen unterdrückte die ethnische Identität der Rom_nja und zwang ihnen eine Assimilationspolitik auf. Franz Remmel betitelt diese fünfzig Jahre dauernde Periode des Schweigens in der Geschichte der Literatur und Kultur der rumänischen Rom_nja mit »Von der Zensur zum Tabu« (Remmel 2007, 75–83).

Dass Romani weder in Schulen, in den Massenmedien, in Publikationen oder in anderen audiovisuellen Medien beziehungsweise öffentlichen Stellen verwendet werden durfte, stand außer Frage. Während des 45-jährigen kommunistischen Regimes in Rumänien konnte von Roma-Literatur keine Rede sein. Selbst Nicht-Roma-Schriftsteller_innen, unter ihnen zum Beispiel Georgiana Viorica Rogoz (Pseudonym: Viorica Huber), die Roma-Geschichten sammelten und herausgaben, wodurch sie die Existenz von Rom_nja einerseits bestätigten und andererseits Einblick in ihre bedenklichen Lebensumstände gewährten, wurden mit Publikationsverbot belegt (Remmel 2007, 77–79). Auf diese Weise konnte sich das Romani in Rumänien vor 1990 in der Öffentlichkeit nicht entwickeln und wurde von Rom_nja nur innerhalb der eigenen vier Wände gesprochen. Es ist also keine Übertreibung zu sagen, dass die Roma-Literatur nach 1989/90 öffentlich »wiedergeboren« wurde.

Mehmet Emir | Luminiţa Mihai Cioabă while reading in the Austrian National Library, 26 April 1994 | Fotografie | Österreich | 26. April 1994 | lit_00665 Rights held by: Mehmet Emir | Licensed by: Department of Folk Music Research and Ethnomusicology – University of Music and Performing Arts Vienna | Licensed under: Rights of Use | Provided by: Department of Folk Music Research and Ethnomusicology – University of Music and Performing Arts Vienna (Austria) | Photographed on: 26.04.1994 (Vienna/Austria)

Zu den bekanntesten Roma-Autor_innen zählt Luminiţa Cioabă, Romni aus einer Kupferschmied-Familie, die auf Romani schreibt. Sie ist die bekanntesten Roma-Autorin Rumäniens und eine nationale Berühmtheit, außerdem ist sie die einzige Romni unter den Mitgliedern des rumänischen Schriftstellerverbandes. Luminiţa Cioabă übersetzt ihre eigenen Werke ins Rumänische, schreibt ihre Werke aber auch gelegentlich auf Rumänisch und übersetzt sie danach ins Romani.

»Die Zeit der ethnischen Bewußtseinswerdung.«

Franz Remmel nennt die literarische Periode, die im Dezember 1989 einsetzte, die »Zeit der ethnischen Bewußtseinswerdung«. Für ihn waren Roma-Autor_innen, die zu diesem Zeitpunkt ihre Schriftstellerkarriere begannen, sowohl Zeitzeug_innen des Untergangs der Diktatur als auch aktive Protagonist_innen der rumänischen Revolution waren. Das trifft vor allem für die Autorengruppe aus Timişoara zu – Mihai Schein, Constantin Bot und Cornel Rezmives. Die drei Dichter waren Arbeiter der Farbenfabrik »Azur« und verfassten, wie Remmel es nennt, »eine zeitbezogene revolutionär-patriotische Dichtung« (Remmel 2007, 16). Mit ihren Gedichten wollten sie nicht nur ihrer Hoffnung auf eine bessere Zukunft der Rom_nja innerhalb einer neuen sozialen Ordnung Ausdruck verleihen, sondern sich gleichzeitig stolz zu ihrer Ethnie bekennen. (Eder-Jordan 2011, 155; Remmel 2007, 84–157).

Zur Generation der Roma-Schriftsteller_innen nach 1989 gehören unter anderem Luminiţa Cioabă, Constantin Gheorghe Angheluţă, Dumitru Bidia, Adriana Poienar, Petre Burtea, Petru Jurca, Ştefan Fuli, Ioan Stoica, Dumitru Drăgoi, Mihai Boroş, Alexandru Doru Şerban, Mihai Avasilcăi (genannt »Fanfan«), Gheorghe Păun Ialomiţeanu und Violeta Cioabă (Remmel 2007, 84–157; Eder-Jordan 2011, 155–163). Seit 1990 wurden in Rumänien nicht weniger als 300 Roma-Organisationen gegründet, und die Zeitschriften und Zeitungen bieten zunehmend Platz für Literatur.

Die erzwungene kulturelle Assimilation während des kommunistischen Regimes in Rumänien hatte zur Folge, dass die meisten Roma-Autor_innen in der Mehrheitssprache Rumänisch schreiben, egal, ob sie Romani beherrschen oder nicht: der Dichter, Soziologe, Aktivist und Journalist Gelu Măgureanu (1967–2009) – er konnte kein Romani, veröffentliche zwei Gedichtbände, »Insinuări« (›Andeutungen‹, 1999) und »Fereastra de dincolo« (›Das Fenster dahinter‹, 2004), und gewann insgesamt fünfzehn nationale und internationale Literaturpreise.

Der Romanautor und Dichter Gheorghe Păun Ialomiţeanu spricht ebenfalls kein Romani; der Romanautor und Dichter Valerică Stănescu – er entstammt einer Familie von Kupferschmieden und spricht auch Romani; ebenso der Dichter Marian Ghiţă. Der Schauspieler und Dichter Sorin Aurel Sandu spricht Romani und stammt aus einer Bärenführerfamilie. Die Schauspielerin und Dramatikerin Alina Șerban hingegen beherrscht das Romani nicht. Auch wenn diese Autoren nicht Romani sprechen und schreiben, widmen sie sich Themen aus der Geschichte und Kultur der Rom_nja. Zu ihnen zählen die Sklaverei und Abschaffung der Sklaverei (Alina Șerban), das migrierende Leben traditioneller Roma (Valerică Stănescu), der Holocaust der Roma (Gheorghe Păun Ialomiţeanu, Valerică Stănescu) oder die Werte und Dilemmata ethnischer Identität (Marian Ghiţă, Sorin Aurel Sandu).

Valerică Stănescu wurde am 6. Oktober 1942 in Kraineaka (Transnistrien) – damals Teil der UdSSR – geboren. In seinem Personalausweis steht das …

Die Auswahl der mit einer Textprobe präsentierten Autoren (Gheorghe Păun Ialomiţeanu, Valerică Stănescu, Marian Ghiţă) erfolgte nach dem Umfang ihres publizierten Œuvre und dem Grad ihrer öffentlichen Anerkennung.

Im Roman »Arzoaica a stat la masă cu dracu« (›Die liebende Frau saß mit dem Teufel am Tisch‹, 1990) beschreibt Gheorghe Păun Ialomiţeanu den Holocaust der Rom_nja – nach seiner eigenen Aussage wollte er damit seinem Volk helfen, das Trauma der Verschleppung nach Transnistrien zu verarbeiten. Mit dem Roman »Bulibașa și artista « (›Der Bulibascha und die Künstlerin‹‹, 1991) versucht er, den Rassismus durch die positive Darstellung der Liebe zwischen Personen unterschiedlicher ethnischer Herkunft zu bekämpfen.

Der Roman »Ger blând de femarte« (›Leichter Frost in Fe-März‹, 2015) handelt von der Abschaffung der Sklaverei, wiedergegeben mit Hilfe eines Dialogs mit Gott. Der Titel bezieht sich auf den kürzesten Monat im Jahr – abgekürzt zu „Fe-März“, dem Monat des Frosts, der Brennnesseln und der Schneeglöckchen und der wichtigste Monat für mobile Rom-nja, die den Frühling sehnlichst erwarteten, um endlich zu ihrer großen Reise aufbrechen zu können.

In »Kai jeas, Rromale? Iubiri triste, cu parfum de șatră« (›Wohin, Rom? Traurige Liebesgeschichten mit dem Duft des Roma-Lagers‹, 2016) finden sich zwei Kurzgeschichten. Die eine Geschichte, »Atunci i-a condamnat pe to ţi la...via ţă« (›Dann verurteilte ich alle ... zum Leben‹), handelt vom Stellenwert der Rom_nja in der rumänischen Gesellschaft und von ihrer Deportation nach Transnistrien. Die andere Erzählung, »Şatră cu parfum de iubire« (›Ein Roma-Lager mit dem Parfüm der Liebe‹), beschreibt satirisch die rumänische Gesellschaft und die Gemeinschaft der Rom_nja während des Kommunismus.

In allen Werken von Gheorghe Păun Ialomiţeanu erscheinen Beispiele magischer Praktiken und Mythen oder »Namen von Geistern, die dem Volksglauben zufolge die Menschen verzaubern und deren äußere Erscheinung verändern« (Djurić 2002, 63). Der Autor greift zu diesem literarischen Mittel, um dadurch die »die schlechten Gewohnheiten der Gesellschaft zu entlarven« und um nicht nur Rom_nja, sondern auch die manipulierende Gesellschaft Rumäniens unter das Vergrößerungsglas der Satire zu legen (ebd.).

Diese drei Roma-Autoren stellen zahlreiche Aspekte der Romano gi (Roma-Seele) dar.

Valerică Stănescus erster Roman »Legile Şatrei« (›Die Gesetze des Roma-Lagers‹) wurde bereits in den 1980er Jahren geschrieben, erschien aber erst 2004, lange nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, da es unter dem kommunistischen Regime verboten war. Im Roman wird das außergewöhnliche Universum einer nomadisierenden Kupferschmied-Gemeinschaft dargestellt, inklusive der Ehren- und Reinheitsgesetze und der alten Traditionen der Roma-Familie.

In »Cu moartea în ochi« (›Mit dem Tod vor Augen‹, 2007) erinnert sich der Autor an seine eigene tragische Kindheit in Transnistrien – dem Holocaust der Rom_nja in Rumänien. »Phure vorbe rromane – proverbe, poezii rrome« (›Redewendungen, Sprichwörter und Gedichte der Rom_nja‹, 2012) dagegen ist eine wunderbare Sammlung von Roma-Volkskunst und beinhaltet Redewendungen, Sprichwörter und Gedichte, die vom literarisch talentierten Autor in eine neue Form gebracht wurden.

Der Roman »Fata cu ochii ca mura« (›Das Mädchen mit den Brombeeraugen‹, 2017) besteht aus der subjektiven und höchst sentimentalen Darstellung des traditionellen Leben eines Roma-Kupferschmieds im Nachkriegsrumänien.

In »Piatra din piatră« (›Stein aus Stein‹, 2017) denkt der Autor über das Schicksal der Menschheit im Allgemeinen und und jenes von Rom_nja im Besonderen nach. Im Vorwort des Buches wird über Valerică Stănescu gesagt, dass er voll und ganz Roma-Spiritualität verkörpere, und im Vorwort zum Roman »Fata cu ochii ca mura« (2017, S. 8) ist zu lesen, dass der Autor folgendes Testament hinterlassen wollte: ›Das Buch ist ein endloses Leben‹.

Marian Ghiţăs taucht mit seinem ersten Gedichtband – »Șoaptele mâinii drepte« (›Das Flüstern der rechten Hand‹, 2007) – erstmals in die aufregende, querdenkerische Philosophie des literarischen Schreibens ein. Sein zweites Buch – »Durematica« (2011) – lässt sich am besten mit den Worten des Autors selbst beschreiben:

»Ich werde Ihnen etwas über das Buch erzählen, aber nicht mit Worten, sondern mit Farben, Farben, die ein stummer Maler, ein blinder Maler spricht, der niemals Farben, niemals einen Buchstaben erblickt hat, aber weiß, wie der Klang des Lichts, die Farben und die Geburt der Wörter innerlich erfahren werden können. Durematica ist ein Spiel der Unsichtbaren, des noch nicht begonnenen Lebens in meinem Inneren, aber auch in eurem Inneren oder im Innern all jener, die aus einer neuen Wunde geboren wurden. Einer Wunde, die sich in Wörtern öffnet oder in Farbe geritzt wird. Dort, wo der Ort fragiler ist, knospenreicher, grüner und verborgener. Durematica ist kein Wort, keine Dichtung. Durematica ist die Vorstellung, die entweder eure Gedanken oder einen nächtlichen Fremden zermahlt, welcher sich in die Bettwäsche deines Herzens stiehlt. Durematica ist euer erster Schritt zum Tode oder zum Leben, als Mann oder Frau, als Gedanke oder als Schicksal, als Lächeln oder als Flug, es ist euer erster Schritt, mit dem ihr zu eurem eigenen Schöpfer werdet, in einer Geschichte, die ausschließlich eure eigene ist, gemalt mit weit geschlossenen Augen, mit dem Finger im Mund, mit oder ohne euch selbst.«

Marian Ghiţă

»Matematica sufletului« (›Die Mathematik der Seele‹, 2017) ist ein ausgezeichnetes Beispiel für mathematische Dichtung, in welcher Gefühle auf das Absurde reduziert werden, die Seele metaphorischen Gleichungen zufolge agiert und das Abstrakte mithilfe von geometrischen Denkformen körperlich oder materiell realisiert wird. Das poetische Ich fragt sich, worin der Sinn des Lebens besteht, und die Antwort darauf ist genauso überraschend wie alle Antworten von Philosoph_innen auf die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz: Das menschliche Leben ist hin- und hergerissen zwischen Gottes Schöpfung und dem Fluch des Individuums. Zwei Lieblingsthemen werden auf der Basis von Obsessionen und esoterischem Wissen dargestellt: die Erschaffung der Menschheit einerseits und die Geburt des Menschen andererseits. Beide werden als Privileg verstanden, als eine verborgene Pflicht und als absolutes Geheimnis der Frau, wodurch sie zur »Herrscherin über Leben und Tod« wird.

Diese drei Roma-Autoren, selbst wenn sie nicht auf Romani schreiben, stellen zahlreiche Aspekte der Romano gi (Roma-Seele) dar und repräsentieren die Roma-Literatur – nicht nur durch die gewählten Themen, sondern auch durch die verborgenen Bedeutungen und die Verbindungen zum kollektiven Gedächtnis der Roma-Identität. Aus diesen Gründen sind sie nicht nur Teil der Literaturgeschichte der rumänischen Roma-Literatur, sondern auch der allgemeinen Literatur der ganzen Welt.

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