Nach der Revolution von 1917 und der Gründung eines neuen Staates – der Sowjetunion – unternahm die Roma-Literatur ihre ersten unabhängigen Schritte. Infolge der liberalen Politik der frühen UdSSR gegenüber ethnischen Minderheiten und ihren Sprachen wurde die Sprache der Roma Mitte der 1920er Jahre standardisiert. Die neue Standardsprache, die auf der russischen Variante des Romanes basiert, wurde produktiv genutzt: Während der 1920er und 1930er Jahre erschienen in der UdSSR über zweihundert Bücher und Zeitschriften in Romanes. Neben Originalwerken von Roma-Schriftsteller_innen und -Dichter_innen wurden unter anderem Bücher mit Übersetzungen russischer und europäischer Klassiker, mit politischen Texten und Reden sowie Schulbücher über Sprache, Mathematik, Geographie veröffentlicht.
Die Roma-Literatur dieser Periode war stark politisiert. Sie befasste sich mit Themen wie der Diskriminierung der Rom_nja unter dem Zaren-Regime sowie der Schaffung eines »neuen Lebens und einer neuen Roma-Kultur« in der Sowjetunion. Die alte, traditionelle Lebensweise von Rom_nja – unter anderem auch Mobilität, Wahrsagen, Betteln und Pferdehandel – wurde abwertend dargestellt. Ein häufiges Thema sowohl von Belletristik als auch von Sachbüchern war das Konzept einer traditionellen Roma-Familie, die sich in einer Kolchose (russisch: kollektivnoe khozjastvo) niederlässt und beginnt, für das Gemeinwohl zu arbeiten. Die stilistischen und thematischen Variationen dieser Literatur waren selbst im Vergleich zur insgesamt eher homogenen sowjetischen Literatur sehr begrenzt.
Viele Autor_innen der Roma-Literatur waren auch in der Sozial- und Bildungsarbeit aktiv. Zum Beispiel verfasste Nikolay Pankov (1895–1959) nicht nur einige Lehrbücher in Romanes, übersetzte viele russische Klassiker, gab Roma-Zeitschriften und ein Romani–Russisches Wörterbuch heraus, sondern unterrichtete auch in einem Roma-Kolleg.
Eine andere Gruppe von Roma-Schriftsteller_innen war mit traditionellen professionellen Ensembles und dem Ensemble des »Teatr Romen«, des ›Romen‹-Theaters, assoziiert. Ivan Rom-Lebedev (1903–1991) stammte aus einer Familie professioneller Roma-Musiker und war ein führender Dramatiker jener Zeit. Ivan Khrustalev-Timofeev (1901–1970) schrieb hauptsächlich für dieses Theater, wo er Choreograph und einer der Hauptdarsteller wurde. Mikhail Ilyinsky (1882–1962), ein erfahrener Schauspieler im ›Romen‹-Theater, war auch Verfasser von Kurzgeschichten, die für ihre reiche und ausdrucksstarke Sprache bekannt sind.