Die Geschichte der Rom_nja in Österreich ist über 600 Jahre alt, aber die Veröffentlichung ihrer mündlichen und schriftlichen Literatur begann erst in den 1990er Jahren. Chronisten in Osteuropa berichten von der Ankunft reisender Menschengruppen in Gebieten des heutigen Österreich im 14. und 15. Jahrhundert. Während der folgenden sechs Jahrhunderte hatten Rom_nja mit immer neuen Gesetzen, Regelungen und Erlässen zu kämpfen, deren Ziel es war, sie auszugrenzen, zu vertreiben oder zu vernichten. Zwischen 1740 und 1780 erließen die Habsburger Kaiserin Maria Theresia und ihr Sohn Joseph II. Gesetze, um Rom_nja im Geiste der Aufklärung zu assimilieren. So wurden sie schließlich dazu gezwungen, ihre Sprache und Gebräuche aufzugeben.
Roma-Literatur in Österreich: Ein Überblick
Im 19. Jahrhundert wurden Rom_nja von einer Region zur nächsten verdrängt, als Vorurteile und staatliche Repressionen zunahmen. Im Ersten Weltkrieg dienten viele Rom_nja in der Armee, ohne dafür bezahlt zu werden. Im Jahre 1928 registrierten und katalogisierten die Polizeibehörden im Burgenland fast 8.000 Rom_nja. Dies bildete den Auftakt einer systematischen Vorgangsweise, um Rom_nja zu finden, einzusperren und schließlich zu töten. Obwohl es schwierig ist, ganz genau herauszufinden, wie viele Rom_nja während des Nationalsozialismus ums Leben kamen, gehen Schätzungen davon aus, dass circa 9.000 der mehr als 11.000 österreichischen Rom_nja ermordet wurden, das heißt, dass lediglich circa 18 Prozent der damals in Österreich lebenden Roma-Bevölkerung überlebten. Die meisten Rom_nja wurden im sogenannten »Zigeunerlager« in Auschwitz-Birkenau interniert, das im August 1944 liquidiert wurde.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die meisten Rom_nja weder privat noch öffentlich über ihre Verfolgung sprechen, geschweige denn ihre Schriften publizieren. Ceija Stojka, eine Lovara-Romni, war die erste österreichische Romni, die ihre Erfahrungen vor, während und nach dem Nationalsozialismus veröffentlichte. Bevor ihr erstes autobiografisches Buch mit dem Titel »Wir leben im Verborgenen: Erinnerungen einer Rom-Zigeunerin« (1988) erschien, hatten nur wenige Rom_nja ihre Geschichte in der Öffentlichkeit erzählt. Ceija Stojkas Schriften und Kunstwerke schildern Geschichten über die Lovara in den Jahren zwischen den zwei Weltkriegen, über die Folterung in den Konzentrationslagern Auschwitz, Ravenbrück und Bergen-Belsen und über ihre fortdauernden Kämpfe nach dem Zweiten Weltkrieg.
Ceija Stojkas Brüder – der Künstler Karl Stojka und der Musiker Mongo Stojka – veröffentlichten ihre Autobiografien mit den Titeln »Auf der ganzen Welt zu Hause: Das Leben und Wandern des Zigeuners Karl Stojka« (1994) beziehungsweise »Papierene Kinder: Glück, Zerstörung und Neubeginn einer Roma-Familie in Österreich« (2000).
Die Herausgabe des Œuvre vieler österreichischer Roma-Schriftsteller_innen beruhte teilweise auf mündlichen Erzählungen. Ceija Stojka hatte Unterstützung von Karin Berger, die half, die mündlichen Geschichten aufzuschreiben und die schriftlichen Aufzeichnungen sowie die Bilder zu ordnen, die Ceija Stojka seit Jahren in etlichen Notizbüchern festgehalten hatte. Karl Stojka und Mongo Stojka wurden von Nicht-Roma-Bekannten, die den Erzählungen der Brüder zugehört hatten, ermutigt, ihre autobiografischen Erlebnisse aufzuschreiben, und dann in weiterer Folge von diesen beim Schreibprozess unterstützt. Mišo Nikolić, ein Rom, der in den 1950er Jahren aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Österreich emigrierte, wurde durch Workshops im Amerlinghaus in Wien dazu angeregt, seine autobiografischen Erzählungen »Landfahrer: Auf den Wegen eines Rom« (2000) und »... und dann zogen wir weiter: Lebenslinien einer Romafamilie« (1997) zu verfassen.
Die sechs zweisprachigen Sammelbände von Märchen, Geschichten und Gesprächen auf Romanes und Deutsch, die beim Drava Verlag erschienen, basieren auf Aufnahmen von Oralliteratur von Rom_nja aus Österreich und den Balkanländern (Halwachs et al., 2000; Cech et al., 2001; Fennesz-Juhasz et al., 2003; Heinschink et al., 2006; Cech et al., 2009; Fennesz-Juhasz et al., 2012).
Im Jahr 1993 wurden Rom_nja als eine offizielle Minderheitengruppe in Österreich anerkannt. Angehörige von sechs Hauptgruppen leben heute in Österreich: Lovara, Burgenland-Roma, Gurbet, Kalderasch, Sinti und Arlije. Die offizielle Anerkennung hat Vorurteile und Diskriminierungen jedoch nicht beseitigt. Am 4. Februar 1995 fielen vier Roma in Oberwart einer Bombe zum Opfer, als sie versuchten, eine Plakette mit der Beschimpfung »Roma zurück nach Indien« zu entfernen.
Diese Tragödie war der Anlass dafür, dass Stefan Horvath, dessen Sohn einer der ermordeten Opfer war, zu schreiben anfing. Sein erstes Werk »Ich war nicht in Auschwitz« (2003) erzählt die traumatischen Geschichten aus der Generation seiner Eltern und von ihren Versuchen, ihre Erinnerungen zu verdrängen. In »Katzenstreu« (2007) schildert Horvath aus unterschiedlichen Perspektiven die Ereignisse des Bombenattentats im Jahre 1995 und dessen Folgen.
Ilija Jovanović, ein Gurbet-Rom, emigrierte aus Serbien und lebte ab 1971 in Wien. »Bündel / Budžo« (2000) war sein erster publizierter Gedichtband, zweisprachig auf Romanes und Deutsch, gefolgt von »Vom Wegrand / Dromese rigatar« (2006); 2010 erschien der zweisprachige Band »News from the Other World« auf Romanes und Englisch in der Übersetzung von Melitta Depner, 2011 der Gedichtband »Mein Nest in deinem Haar / Muro kujbo ande ćire bal«. Jovanović stellt Gebräuche und Geschichten aus seiner Kindheit in der Roma-Community leidenschaftlich dar und schreibt über das Leid der Isolation, die Vorurteile und den Verlust der Identität in Österreich.
Samuel Mago gehört zu einer jüngeren Generation von Rom_nja, die Literatur schreiben und sich sozial engagieren. Er wurde 1996 in Budapest geboren und stammt aus einer Roma-Familie mit jüdischen Wurzeln. Mago hat Preise für seine literarischen Schriften und Reden gewonnen, unter anderem für die Kurzgeschichte »Zeuge der Freiheit« (2015) und – zusammen mit seinem Bruder Károly Mágó – die Sammlung von Kurzgeschichten »glücksmacher / e baxt romani« (2017).
Historisch gesehen litten die Jenischen unter vielen Formen der Verfolgungen, die denen der Rom_nja ähnlich waren. Romedius Mungenast war einer der ersten österreichischen Jenischen, der sich in der Öffentlichkeit zu seiner jenischen Herkunft bekannte. Sein Buch »Jenische Reminiszenzen« (2001) ist eine Anthologie mit Geschichten und Gedichten über die Geschichte und Gebräuche von Jenischen. Sieglinde Schauer-Glatz, die ihren Eltern im Alter von zwei Monaten weggenommen und zu Pflegeeltern gegeben wurde, war 49 Jahre alt, als sie in der Öffentlichkeit ihre Wurzeln als Jenische durch das Schreiben von Lyrik, des Theaterstücks »Fremd in der eigenen Heimat« und des Märchens »Die Kräuterhexe« (2001) thematisierte. Simone Schönetts zahlreichen Gedichte, Kurzgeschichten und Romane schließen »Im Moos« (2001) und »re:mondo« (2010) ein. Die Autorin beleuchtet Themen wie Familie, Sprache, Arbeit, kulturelle Transformationen, Geschlechterrollen und traditionelle Gebräuche, die mit der komplexen Geschichte der Verfolgung und Diskriminierung der Jenischen verflochten wer
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