Seit den späten 1990er Jahren und besonders nach der Jahrtausendwende zeigt sich, dass auch die Roma-Literatur von verschiedenen globalen Entwicklungen beeinflusst wird, unter anderem von der Verbreitung digitaler Technologien und vom Internet. Während sich die Zahl von E-Books oder Kindle-Ausgaben von Roma-Literatur in Grenzen hält, ist sie immer öfter in diversen digitalen Medien zu finden. Unserer Meinung nach lassen sich die verschiedenen Arten, wie Autor_innen, Verleger_innen und Herausgeber_innen Roma-Literatur im Internet oder in anderen digitalen Medien präsentieren, kategorisieren.
Roma-Autor_innen »going digital«
Der erste Präsentationstypus sind Bücher in unterschiedlichen digitalen Online-Formaten. Diese Kategorie wiederum kann unterteilt werden in:
Digitalisierte ältere (gedruckte) Werke und Materialien: Das beeindruckendste Projekt in dieser Kategorie ist die von den Nationalbibliotheken Finnlands und Russlands durchgeführte Digitalisierung vieler Bücher, die während der 1920er und 1930er Jahren in der Sowjetunion erschienen sind (siehe Link).
E-Books im PDF-Format und Kindle-Ausgaben: Gezielt für eine Kindle-Ausgabe produzierte Bücher gibt es nur wenige, meistens handelt es sich bei E-Book-Werken um ursprünglich nicht für den Verkauf gedachte Studien und Schriften, deren Verbreitung und Zugänglichkeit man jedoch ermöglichen wollte und sie zu diesem Zweck in ein PDF-Format umwandelte. Beispiele für diese Praxis finden sich häufig auf Webseiten von Organisationen und Projekten (unter anderem »Next page« und »Poveşti Nespuse – Untold Stories«. Da diese Bücher jedoch nicht beworben werden, ist ihre Verbreitung begrenzt. Außerdem werden die Webseiten, auf denen diese Publikationen zu finden sind, meist bereits kurz nach Beendigung des Projekts nicht mehr aktualisiert und oft auch gelöscht.
Internet Publishing auf Websites und Plattformen, die sich der Kultur und Literatur der Sinti und Roma widmen, aber auch Internet-Auftritte von Literatur allgemeiner Art: Das ist vermutlich die häufigste und beliebteste Form digitalen Publizierens, bei der Roma-Autor_innen, die demselben geografischen, kulturellen oder historischen Raum angehören, oft gemeinsam publizieren, wie beispielsweise die Roma-Autor_innen aus dem Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakei, der ehemaligen Sowjetunion oder des ehemaligen Jugoslawien. Auch in Russland und im Gebiet der ehemaligen UdSSR ist Internet Publishing eine sehr beliebte Publikationsform unter Roma-Autor_innen.
Die zweite Kategorie umfasst Audio/Video-Formate, also Hörbücher und Aufnahmen von Literaturlesungen. Hörbücher erscheinen meist in Form einer Begleit-CD für gedruckte Bücher. Sie sind aber auch separat erhältlich (beispielsweise wird das Hörbuch »Katitzi« in einer eigenständigen Edition in Romanes verkauft). Ein weiteres interessantes Beispiel ist die Autobiografie von Zoni Weisz, die 2017 unter dem Titel »Ein gutes Leben. Zoni Weisz erzählt seine Biografie«, die ausschließlich in digitaler Version (als Doppel-CD), das heißt als Hörbuch, herausgegeben wurde. 2018 erschien eine schriftliche Autobiografie von Zoni Weisz, »Der vergessene Holocaust. Mein Leben als Sinto, Unternehmer und Überlebender« als Buch im Verlag dtv.
Auch Aufnahmen von Roma-Autoren, die ihre eigenen Gedichte vortragen, sind im Internet zu finden, so z.B. die CD »Elmondom én« von Támas Jónás (2001). Das Europäische Roma-Institut für Kunst und Kultur initiierte Aufnahmen von Gedichtlesungen von Roma_Autorinnen in verschiedenen Sprachen, die über YouTube online zugänglich gemacht wurden.
Eine dritte Kategorie ist die Veröffentlichung von Literatur in den sozialen Medien. Die Veröffentlichung von kurzen literarischen Texten in den sozialen Netzwerken ist eine eher junge Form des Publizierens. Hierbei handelt es sich um einzelne, von den jeweiligen Autor_innen eigenhändig eingestellte Posts, die von Roma-Autor_innen, Sprachwissenschaftler_innen und Erzieher_innen kommentiert werden oder vonSinti und Roma Rom_nja, die einfach als Leser_innen die Seite besuchen.
Die Ära der Digitalisierung bietet vielfältige Möglichkeiten zur Lösung von Problemen, mit denen sich Roma-Autor_innen, die publizieren wollen, bisher konfrontiert sahen. Durch das Internet kann inzwischen ein größeres Publikum erreicht und das literarische Erbe der Sinti und Roma leichter bewahrt werden, da zahlreiche Titel von Roma-Autor_innen in zu wenig Bibliotheken vorhanden waren und deshalb nur einem eingegrenzten Leserkreis zur Verfügung standen. »Going digital« könnte das Interesse an der Sprache der Rom_nja und ihrer Literatur auch bei den jüngeren Generationen wecken, die trotz der Tatsache, dass sie Romanes fast nur mündlich und kaum schriftlich beherrschen, immer öfter in den Foren und den sozialen Medien des Internets Posts auf Romanes lesen und schreiben und auf diese Weise mit ihren Verwandten und Roma-Gemeinschaften in der ganzen Welt kommunizieren.
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