Ceija Stojka lernte ich im März 1991 im Kultur- und Kommunikationszentrum Amerlinghaus in Wien bei den Vorbereitungen zu ihrer allerersten Ausstellung »Bilder aus dem Leben der ›Romni‹ Ceija Stojka« kennen. Als ich sie bei der Vernissage über ihr Leben sprechen hörte, war mir klar, dass es bei dieser einen Ausstellung nicht bleiben durfte, dass es wichtig war – und immer noch ist –, Ceija Stojka und ihre Kunst, die aufs Engste mit der Verfolgung der Roma und Sinti durch die Nazis verknüpft ist und diese reflektiert, immer wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich plante sehr bald, die Arbeiten dieser Frau, die Zeit ihres Lebens die Nummer, die man ihr in Auschwitz eintätowiert hatte, am Unterarm trug, in immer neuen Ausstellungen jährlich im Amerlinghaus zu zeigen.
Meine Arbeit mit Ceija Stojka von 1991 bis 2012
Zeitzeugen-Workshops mit Ceija Stojka 1992 bis 2012 im Amerlinghaus
Vor allem schien es mir wichtig, auch jungen Menschen Ceija Stojkas Lebensgeschichte und die Geschichte der Roma und Sinti, die sich in ihrem persönlichen Schicksal und dem ihrer Familie verdeutlicht, nahezubringen.
Ab dem Frühjahr 1992 machten wir im Rahmen der Projekte von »verein exil« die ersten Workshops mit Ceija Stojka im Amerlinghaus. 1993 waren es bereits zehn, später fünfzehn und ab Mitte der 1990er Jahre 30 Zeitzeugen-Workshops jährlich, wobei für die dreistündigen Workshops vormittags je eine Schulklasse (ab der achten Schulstufe, also mindestens 14-jährige Schüler_innen) eingeladen wurde.
Der Workshop begann jeweils mit einer kurzen historischen Einleitung durch die Moderatorin. Danach führte Ceija Stojka die Schüler_innen durch die Ausstellung und erzählte ausführlich vom Leben der fahrenden Rom_nja und von ihrem eigenen Überleben in drei Konzentrationslagern der Nazis. Im Anschluss daran hatten die Schüler_innen Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch mit Ceija und konnten ihr Fragen stellen. Nach der Pause gab es einen Malworkshop, wo sie Aquarelle malten, in denen sie das eben Gehörte aufarbeiten konnten. Ceija ging durch die Bankreihen, motivierte die Schüler_innen und half auch mit ein paar Pinselstrichen.
Ein Roma-Fest für Schulklassen, zu dem alle Klassen noch einmal eingeladen wurden und bei dem die Bilder der Schüler_innen ausgestellt wurden, schloss das Projekt ab. Zwei Roma-Musikensembles traten an diesem Vormittag auf, und die Klassen überreichten Ceija Stojka auf der Bühne im Hof des Amerlinghauses ein »Dankeschön« in Form einer kreativen Gemeinschaftsarbeit. So überraschten Schüler_innen einer Klasse aus einer Allgemeinbildenden Höheren Schule (AHS) beim Fest am 16. Juni 2010 Ceija mit einem »Schutzmantel«, den sie für sie angefertigt und mit Motiven aus ihrer Überlebensgeschichte bestickt hatten. Denn Ceija beendete ihre Workshops immer mit den Worten:
»Ihr seid unser Schutzmantel, damit so etwas Schreckliches nicht noch einmal geschieht.«
Ceija Stojka
Mehr als 20 Jahre lang hat der »verein exil« mit Ceija Stojka im Amerlinghaus Zeitzeugen-Workshops für Schulklassen durchgeführt. Mehr als 12.500 Schüler_innen hatten so Gelegenheit, von ihr persönlich zu erfahren, wie Rom_nja vor (und nach) dem Holocaust lebten und was ihnen während der Terrorherrschaft der Nazis angetan wurde (siehe auch ein Interview mit Ceija Stojka).
Seit 1993 bildet das große Roma-Fest im Hof des Amerlinghauses den Auftakt zu der Herbstveranstaltungsreihe mit Schwerpunkt »Roma-Kultur«. Ausstellungen, Lesungen, Vorträge, Workshops und Projekte des Theaters »roma.klang.theater.exil.« bilden das Programm. Ceija Stojka war bis zu ihrem Tod jedes Jahr beim Fest anwesend und stand im Mittelpunkt dieses Abends, der immer mit einer Ausstellung ihrer neuesten Bilder im Galerieraum eröffnet wurde. Beim Konzertauftritt des Familienensembles »Amenza Ketane« trat Ceija in den frühen Jahren manchmal auch selbst mit ein oder zwei Roma-Liedern als Sängerin auf.
Wir haben Ceija Stojkas Lebensberichte in vielen Workshops mit Tonaufzeichnungen dokumentiert. Anlässlich ihres 75. Geburtstages im Jahr 2008 habe ich ihr Buch »Auschwitz ist mein Mantel« in der »edition exil« herausgegeben. Der Kunstdruckband enthält neben mehr als 80 Farbdrucken ausgewählter Öl- und Acrylgemälde und zahlreichen Grafiken auch Ausschnitte aus Ceija Stojkas Lebensgeschichte, die sie selbst in den Workshops erzählt hatte, dazu einige Gedichte. Vor allem das titelgebende »Auschwitz ist mein Mantel« ist hier hervorzuheben. Entstanden ist es, als ich wieder einmal bei ihr zu Hause war, um die Bilder für die nächste Ausstellung auszuwählen, und ich danach von ihr mit einer »Hendlsuppe« (Hühnersuppe) oder einem »Romano schach« (ein traditionelles Krautgericht vieler Rom_nja) bewirtet wurde. Dabei »erzählte« sie mir, das heißt, sie hat diesen Gedichttext einfach improvisiert, und ich habe ihn natürlich sofort schriftlich festgehalten.
Denn Ceija Stojka, die Zeitzeugin und Künstlerin, war vor allem auch ein außergewöhnlicher Mensch. Wenn sie sprach, waren es oft ganz einfache Worte, einfache Sätze, aber wahrhaftig und unverstellt, offen und weise.
Ich habe es mir angewöhnt, immer mit Notizbuch und Stift zu ihr zu kommen. Ceija Stojka war eine Poetin des gesprochenen Wortes – eine Dichterin, deren Worte viel vom Leben wussten und vom Tod. Aber vor allem vom Überleben und vom Trotz-allem-glücklich-sein-Wollen.
Workshops nach Ceijas Tod – in Erinnerung an Ceija Stojka
Seit Ceijas Ableben im Januar 2013 führen wir nun die Workshops – in Erinnerung an sie und vor allem orientiert an ihrer Lebensgeschichte – mit Nuna und Hojda Stojka (Schwiegertochter und Sohn) und dem Ensemble »Amenza Ketane« und mit dem Musiker und Filmemacher Andreas Holleschek fort. Denn was Ceija Stojka zu sagen hatte, darf nicht vergessen werden!
Statt einem Malworkshop gibt es nun jedoch einen Musikworkshop. Die Schüler_innen erarbeiten in drei Gruppen auf der Basis einer Liste mit Wörtern aus Ceijas Gedichten, aus denen sie fünf für ihre Texte verwenden sollen, kurze Texte, die sie dann gemeinsam unter Anleitung und begleitet von Andreas Holleschek als »Rap gegen Rassismus« performen.
Andreas Holleschek leitet auch die Weiterarbeit einzelner, besonders interessierter Klassen an ihren Raps, probt und perfektioniert sie mit ihnen und nimmt dann im Studio Tonspuren auf, die er als Playback beim Projektabschlussfest (meist im Juni des Folgejahres) bei der Live-Performance der Klassen auf der Bühne im Hof des Amerlinghauses ihrem Auftritt unterlegt.
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