Der Roma-Dichter, Maler und Gelehrte Károly Bari schreibt:
Ein Lied von Auschwitz
»Der Teil der Roma-Folklore, der den Holocaust im Gedächtnis der Bevölkerung wachhält [...], beschwört die vielgestaltigen Gesichter des Hasses herauf wie eine Abfolge mahnender Puppen und nennt die Vorurteile beim Namen, deren Tentakel all die dunklen Bildnisse wieder und wieder neu zum Leben erwecken.«
Wenn es in der vormaligen Tschechoslowakei ein Lied gibt, dass diese Idee Baris genau verkörpert, ist es »Aušvicate hi kher baro« (›In Auschwitz steht ein großer Bau‹). Aufnahmen dieses Liedes haben mal zwei, mal sechs oder sieben Strophen. Der Text schildert die Arbeitsbedingungen in dem Konzentrationslager und die Rolle der Blockältesten – und er deutet eine Vergewaltigung an.
Etwa 90 Prozent der Roma und Sinti, die zur Beginn des Zweiten Weltkriegs in der heutigen Tschechischen Republik lebten, wurden in Konzentrationslagern ermordet, und überlebende Angehörige oder Nachkommen halten sich oft bis heute bedeckt. Das RomArchive verfügt über drei der wenigen erhaltenen Feldaufnahmen von »Aušvicate hi kher baro«, darunter diese Kurzfassung, die Barka Pelcová in Prag aufnahm:
Aušvicate hi kher baro
Aušvicate hi kher baro
Odoj bešel mro pirano
Ej, bešel, bešel, gondolinel
The pre mande pobisterel
Khatar Ruska bavlal phurdel
Mro pirano už man mukhel
Mukhel, mukhel pharipnaha
Kaj naphenďom ačh Devleha
Übersetzung
In Auschwitz steht ein großer Bau
Darin sitzt mein Liebster
Oh, er sitzt und sitzt und schaut
und mich vergisst er
Aus Russland weht ein Wind
Mein Liebster verlässt mich
Er geht dahin, dahin mit schwerem Herzen
Denn ich konnte ihm nicht Lebewohl sagen
Eine längere Version sang Margita Nová in der Region Hranice in Mähren.
Barka Pelcová überlebte den Holocaust nur, weil einer der Wärter sich in eine Verwandte von ihr verliebte. Dieser Wärter entließ mehrere Familienmitglieder aus einem Sammellager, wo sie bis zum Weitertransport nach Auschwitz eingesperrt bleiben sollten. Der Familienlegende zufolge wurde er für seine barmherzige Tat später von der SS erschossen.
»Sie haben meine ganze Familie verbrannt – also lasst mich auch verbrennen.«
Barka Pelcovás Vater und Bruder überlebten ein Nebenlager von Mauthausen. Der Vater legte im Allgemeinen großen Wert auf die Einhaltung der Gesetze und Bräuche seiner Roma-Gruppe, und diese verboten unter anderem die Kremation. Doch nach dem Holocaust hörte man ihn immer wieder sagen: »Sie haben meine ganze Familie verbrannt – also lasst mich auch verbrennen.« Diesem Wunsch gemäß bewahrten seine Kinder die Asche ihres Vaters in einer Urne auf. Ein Symbol der äußersten Verwüstung, das die Familie bis heute in Ehren hält.
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