Als metaphorischer »Pinsel der Natur« wurde die Fotografie innerhalb weniger Jahrzehnte seit ihrer Erfindung 1850 zu einem Instrument und »Symbol wissenschaftlicher Objektivität gemacht, das jede Form der menschlichen Willkür zu überwinden in der Lage sein sollte. Der Glaube an diese Form der Objektivität durchzog alle Wissenschaftsbereiche« (Bredekamp 2004, 18). Die Fotografie ermögliche die Herstellung objektiver visueller Abbildung, da ihre Mechanik dem menschlichen Auge ähnelt, so die zeitgenössische Argumentation. Demzufolge wurden die Repräsentationen von »Anderen« (nicht weiß und europäisch) als wahrheitsgemäßes Abbild ihres »Entwicklungsstandes« (vor allem im Vergleich mit der westlichen Welt) gesehen und die Konstruiertheit der Darstellung außer acht gelassen. Die Kamera als neutrales – weil technisches – Auge wurde geradezu zur Materialisierung des aufklärerischen Ideals der Objektivität.
Der Entstehungszeitraum der Fotografie war geprägt vom wissenschaftlichen Positivismus, der auf dem Glauben an empirische Wahrheit durch visuelle Beweise aufbaute. Da Maschinen als verlässlicher als Menschen galten, wurde der fotografische Prozess als ein akkurateres, wissenschaftliches Werkzeug zur Abbildung von Realität angesehen. Die Vorstellung von einem Foto als einer unvermittelten Kopie der realen Welt basiert auf dem Mythos der fotografischen Wahrheit (Sturken und Cartwright 2001, 16). Aufgeladen durch diese Diskurse waren die Fotografie und der fotografische Blick – als wissenschaftliche, objektive Methodik und Beweisführung, die den Zugang zu Wahrheit und Realität ermöglicht – an der Etablierung von Machtverhältnissen beteiligt.