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Jara Kehl

Der Fall ›Maria‹ – weltweite Stigmatisierung der Roma

Florian Schuh | Romani Rose as he holds up the front page of the International New York Times at the Federal Press Conference on November 5th 2013 | Deutschland | 5. November 2013 | pho_00282 Rights held by: Florian Schuh | Licensed by: Picture Alliance | Licensed under: Rights of Use | Provided by: Picture Alliance

Ende Oktober 2013 wurde in der gesamten Weltpresse über den Fall ›Maria‹ in Griechenland berichtet. Ein Bild des Kindes hatte es sogar bis auf die Titelseite der New York Times gebracht. Maria war das Pflegekind einer griechischen Roma-Familie, welches von seiner Mutter, einer bulgarischen Romni, kurz nach dessen Geburt in deren Obhut gegeben, von diesen jedoch nicht offiziell adoptiert wurde. Das Aussehen des Kindes, sein blondes Haar und seine helle Haut, hatte bei den griechischen Behörden den Verdacht auf Kindesentführung aufkommen lassen. Das Mädchen wurde daraufhin von der Polizei aus dessen Pflegefamilie und in staatliche Obhut genommen.

Innerhalb kürzester Zeit überschlugen sich die medialen Berichte zu dem Vorfall. Während der behördlichen Ermittlungen zur Herkunft des Mädchens wurde öffentlich über Kindesentführung und Kindesmissbrauch bei Rom_nja, damit einhergehender Zwangsverheiratung und Organhandel spekuliert. Die Medien stellten Zusammenhänge mit dem vermissten Kind Madeleine McCann (›Maddie‹) aus England und anderen Fällen von Kindesentführung her. Dabei wurde die Roma-Minderheit in zahlreichen Berichten pauschal verdächtigt, Kinder zu rauben. Die Medien knüpften damit ungehemmt an den jahrhundertealten, antiziganistischen Mythos von den »Zigeunern, die Kinder stehlen« an.

Nur ein Teil der Medien hat, nachdem die Einzelheiten des Falles klar wurden, eingeräumt, dass hier auch in der Berichterstattung alte Feindbilder wirksam waren. Die über Wochen anhaltende nationale und internationale Berichterstattung in dem Fall hatte fatale Auswirkungen. Aufgrund der Polizeiaktionen im Fall ›Maria‹ und der damit verbundenen Medienberichte, wurden kurze Zeit später in Irland Kinder einer Roma-Familie im Rahmen eines unverhältnismäßigen Polizeieinsatzes von ihren Eltern getrennt und ebenfalls in staatliche Obhut genommen.

Diese Maßnahmen erfolgten aufgrund sogenannter »Beobachtungen aus der Bevölkerung«, die sich auf die helle Haut- und Haarfarbe der Kinder stützten. Anschließende DNA-Tests bewiesen, dass es sich in beiden Fällen um die leiblichen Kinder der Eltern gehandelt hatte. Sowohl in Griechenland als auch in Irland basierten die Polizeiaktionen nach Auffassung des Zentralrates allein auf pseudo-ethnischen Kriterien, die dazu führen, dass blonde Kinder bei Rom_nja bei den Behörden einen Verdacht auslösen.

Die negativen Auswirkungen der Medienberichte auf Sinti und Roma waren auch in Deutschland deutlich zu spüren: Angehörige der Minderheit berichteten beim Zentralrat über ihr Gefühl von Scham und Entwürdigung im Umgang mit Nachbarn und Berufskollegen. Kinder von Sinti und Roma in der Schule von Schulkameraden gefragt, ob sie entführt worden seien, oder ob ihre Familien selbst Kinder stehlen würden.

In einer öffentlichen Erklärung wies der Zentralrat darauf hin, dass es in keinem Land zugelassen werden darf, eine Minderheit durch Polizeimeldungen und Polizeiaktionen öffentlich unter Generalverdacht zu stellen und gesellschaftlich auszugrenzen. In der Erklärung forderte der Zentralrat zudem Maßnahmen, durch welche solche diskriminierenden, mit rechtsstaatlichen Normen unvereinbaren Handlungen von Behörden künftig verhindert werden können.

Am 5. November 2013 führte der Zentralrat im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin unter dem Titel: »Gestohlene Kinder? Roma in Europa am Pranger – die Verantwortung der Medien« zudem eine Bundespressekonferenz durch, die eine breite bundesweite Berichterstattung in Presse und Fernsehen (u.a. ARD-Tagesschau) nach sich zog. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma unterstrich in der Pressekonferenz, dass es die Aufgabe von Polizei und staatlichen Behörden ist, gegen jeden Fall von Menschenhandel und illegaler Adoption vorzugehen. Unzulässig ist es aber, in der Öffentlichkeit Bilder zu produzieren, die rassistische Vorurteile wachrufen und bestärken. Der Zentralrat forderte daher den neu konstituierten Bundestag auf, eine Expertenkommission einzusetzen, die die Feindlichkeit gegenüber Sinti und Roma in Deutschland dokumentiert und misst, und die einmal pro Legislaturperiode hierzu dem Deutschen Bundestag einen Bericht vorlegt.

Jara Kehl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma.

Der Text wurde 2014 in der Publikation »Newess« des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma erstveröffentlicht.

Copyright: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma

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