Fotoserie von Nino Nihad Pušija
»Wie schwer ist es, eine Kultur durch Fotografien kennenzulernen und wie speziell ist dieser Kennenlernprozess im Fall der Kultur von Sinti und Roma?«1 Und wie kann dabei eine Selbstbestimmung und Selbstrepräsentation der sogenannten Sinti- und Roma-Fotograf_innen stattfinden? Kann eine Fotoserie zeitgenössischer Fotografie das vorurteilsfreie Interesse für das »Anderssein« öffnen und gegen einen Automatismus des Antiziganismus auftreten? Und wie kann der Kanon der visuellen Repräsentationen der Rom_nja unterbrochen werden? Was bedeuten in diesem Zusammenhang z.B. Roma-Folklorebewegungen, Prozesse der Nationenbildung oder kulturelle Hybridität? Können (kulturelle) Institutionen sogenannte Roma-Künstler_innen emanzipieren bzw. legitimieren?
Die bisherigen Praxisbeispiele von Sinti- und Roma-Kunstausstellungen zeigen, dass Vermittlungsprogramme bzw. gleichgestellte vermittelnde Textinformationen die ausgestellten Kunstwerke, Videoarbeiten oder Fotografien nur sehr selten mitbestimmt oder erweitert haben, obwohl die Rolle dieser »Zusatzinformationen« gerade bei der Veränderung der konservierenden, »zigeunertypischen«2 Betrachtungsweisen eine der wichtigsten Aufgaben gewesen wäre.
Für die Betrachter_innen ist es wichtig, die neuen Sichtweisen auf eine Roma-Kunstausstellung nachvollziehen zu können, die weit über ihre eigenen, im Vorfeld gebildeten Vorstellungen hinausgehen. Wichtige Erkenntnisprozesse und Anregungen werden so wiederbelebt und aktiviert, etwa die Frage nach der Autonomie von »Sinti- und Roma-«Künstler_innen im Vergleich zu »deutschen« Künstler_innen.
Durch die performative Transformation des Instituto Cervantes in das (fiktive) »Roma Kulturinstitut« erfuhren die ausgestellten Werke und Künstler_innen eine erweiterte Positionierung und Bedeutung, was alle Beteiligten nachdenklich stimmte. Der »Institutionswechsel« erzeugte eindeutig die Frage, für wen die Ausstellung gedacht war?
Eine gelungene Störung des Kanons der visuellen Repräsentation von Rom_nja konnte ich mit der Auswahl von Nihad Nino Pušijas fotografischen Arbeiten erreichen. Ich lud ihn mit einem kleineren Konvolut von nicht »zigeunertypischen« Fotografien zur Ausstellung ein. Ich folgte damit dem Ziel, die von der »Ethno-Industrie« erwarteten Bilder schlichtweg nicht zu wiederholen, um so auf einen sehr wichtigen Aspekt hinzuweisen: Um sich als Künstler_in zu legitimieren, müssen Roma-Künstler_innen keine »zigeunertypischen« Werke schaffen. Ich gehe noch weiter: Die Vielseitigkeit der fotografischen Motive in Pušijas Werk (siehe auch den Katalogtext von Dr. Sibylle Badstübner-Gröger) verweist viel »ehrlicher« auf die Komplexität ethnisierter Identitätsbestimmungen bzw. auf nationale Zugehörigkeiten und gleichzeitige Hybriditäten – im Falle Pušijas auf die ex-jugoslawische und die deutsche Kultur –, als es in »herkömmlichen« Abbildungen von Rom_nja der Fall ist.