Über die Möglichkeit ethnischer Kunst und ihrer Kritik – unter Bezugnahme auf die Intervention des Sostar? / Why? {Roma} - Kunstkollektivs, »Apertúra«, Sommer/Herbst 2014 1
Die Parenthese als ironisches Symbol des Ghettos
Ich erachte die folgende Geschichte, die in Ágota Vargas Film »Porrajmos – Cigány holokauszt« (2000, Ungarn, dt. etwa: Porajmos – Roma-Holocaust) erzählt wird, als einen Moment des talking back [des widerständigen, diskursiven Widersprechens und Umkehrens der Sprechrichtung aus unterdrückter Position, A.d.Ü.]. János Balogh, ein Rom, der im Dorf Patapoklos lebt, überwindet schrittweise sein Misstrauen gegenüber den Nicht-Roma in der Filmcrew und zeigt ihnen ein Foto von ihm und seinen Verwandten, das bei ihrer Deportation im Jahr 1944 von Polizisten aufgenommen wurde.2 János Balogh erzählt nun davon, wie er Jahrzehnte später den Polizisten Sárközi wieder traf.
Der ehemalige Beamte war mittlerweile ein Zivilist, der friedlich genug als Rentner im sozialistischen System lebte. Er zeigte János Balogh sein Fotoalbum voller deportierter Menschen – nicht mit Reue und erst recht nicht mit einer Entschuldigung, eher als bloße Aussage; vielleicht wollte er für einen Moment lang seine längst-verlorene Macht zurückgewinnen. János Balogh erkannte auf einem der Bilder seine Familie. Nachdem er den ehemaligen Polizisten erfolglos darum gebeten hatte, das Bild zurückzugeben, griff er es schnell aus dem Album heraus und rannte damit davon.
Ab diesem Moment wurde der Überlebende zum Besitzer des Bildes, das ihm schon immer gehört hatte. Denn in diesem Fall ist das Bild das Eigentum der Person, die durch die vorherrschende Macht zum Objekt gemacht wird. Letztere ist hier durch die Mitglieder der ungarischen Polizisten vertreten. Es ist wichtig, hinzuzufügen, dass nur die Opfer auf dem Bild identifizierbar sind; der Polizist, der neben ihnen stand, wurde herausgeschnitten, nur die Spitze seines Bajonetts ist zu sehen.
Diese Abwesenheit, die durch das Herausschneiden entstanden ist, und die Stelle, an der das Foto zerfällt – oder, genauer gesagt, wo es zerstört ist –, wird zum Sinnbild des Traumas in der Erinnerungspolitik der ungarischen Gesellschaft. János Balogh zeigt der Regisseurin die Menschen auf dem Foto, die im Porajmos ermordet wurden – er ist der einzige Mensch, der das Recht hat, dieses Bild zu zeigen. János Baloghs ›Diebstahl‹ des Bildes ist ein paradigmatisches Beispiel des talking back (oder – in einer Metapher der Medienanthropologie – des Zurückschießens, der Blickumkehr).
Ein anderes Beispiel eines Kunstwerks, das die Sprechrichtung umkehrt, ist die Intervention des Sostar-Kollektivs im Budapester Kunsthaus Trafó namens »Rewritable Pictures« von 2010.3 Sostar fragte das Ethnografische Museum nach Bildern von Rom_nja und das Museum gab der Gruppe einige Fotografien. Diese Bilder wurden dann in einer Ausstellung im Trafó und durch eine Video-Performance – unter Anwendung einer Methode der Kontaktimprovisation in Beteiligung von zwei Bewegungskünstler_innen, die am Unabhängigen Theater spielen, und einer Fotograf_in – neu kontextualisiert.
Die Fotos aus ihrem Kontext im Ethnografischen Museum mitsamt dessen ethnischen Kategorien aus Mehrheitsperspektive herauszunehmen, sie in einen zeitgenössischen Kunstkontext zu stellen und sie in einer Performance wiederzubeleben, in der die Roma- und Nicht-Roma-Beteiligten kontinuierlich die Fotograf_in in ihr Improvisationsspiel in einem Raum voller Spiegel einbeziehen – das sind alles widerständige Akte. Das hier stattgefundene Zurücksprechen [talking back] ist ein Beispiel für eine sich selbst bewusste Form des Umgangs mit einer ethnisierenden Sammlungslogik. Es verspricht eine neue Archivlogik, die ihre Gegenstände nicht ethnisiert.
Britische Geschichte und postkoloniale Theorie ist bedeutend für den Rahmen des talking back und ich möchte unter Bezugnahme auf Stuart Halls Studie »New Ethnicities« (1989) darauf eingehen. Dieser Exkurs ist im aktuellen Kontext wichtig, weil seine Einsichten mir für eine Interpretation der Bedeutung der Aktivitäten des Sostar-Kollektivs unabdinglich erscheinen, insbesondere hinsichtlich des ethnisierten Vertrags, der im Folgenden noch interpretiert wird. Halls Studie macht in Schwarzer Repräsentation zwei Phasen des Strebens nach Emanzipation aus. Sie entstehen in der Verschiebung von einem Kampf um die Verhältnisse der Repräsentation hin zu eigenen Repräsentationspolitiken.4
In der ersten Phase, wird während des Prozesses der Integration der am Widerstand beteiligten Gruppen der Begriff »Schwarz« in einem politischen Sinne geprägt. Die »Schwarze Erfahrung«, als ein singulärer und vereinender Rahmen, bietet eine Identität, die ethnische und kulturelle Differenzen überbrückt und so wichtiger als andere Identitäten wird. Wir können das auf Roma-Politiken übertragen und feststellen, dass die Repräsentation von Rom_nja oder etwa von walachischen Rom_nja der Repräsentation von Roma im Allgemeinen nachgeordnet ist.
In einem kulturellen Sinne ist diese erste Phase eine Kritik an der Tatsache, dass die Schwarze Bevölkerung als unsichtbare und stimmlose Andere in der vorherrschenden weißen Ästhetik und kulturellem Diskurs positioniert war. Schwarze Menschen waren Objekte, nicht Subjekte, dieser Positionierung. Um das zu ändern, war es notwendig, diese Fetischisierung, Verobjektivierung und negative Figuration zu kritisieren. Während dieser Phase hatte die Bewegung zwei Ziele: Zugang zur Gestaltung des eigenen Bildes, das heißt, das Recht zur Selbstrepräsentation; und die Schaffung einer positiven Schwarzen Selbstrepräsentation.
Später wurde jedoch deutlich, dass eine einheitliche Schwarze Repräsentation vor allem die Sicht heterosexueller Schwarzer Männer zuungunsten aller anderen einführte. Die Heteronormativität und männliche Dominanz im Kampf um Emanzipation unterdrückte andere emanzipatorische Bedürfnisse. Zudem gibt es aufgrund eines verschiedenen linguistischen Verständnisses von Repräsentation einen grundlegenden Unterschied zwischen den beiden Phasen. Hall erklärt, dass Repräsentation in dem Prozess, einer allgemeinen Schwarzen Erfahrung Stimme zu verleihen, als mimetisch erachtet wurde: Es wurde allgemein angenommen, dass eine Gruppe, deren Existenz der Sprache vorausgeht, in den Diskurs eintrat und sich selbst in dem vereinenden Begriff »Schwarz« erkannte. Doch ist Mimese, die ein unreflexiv behandeltes Bindewort – das abschließende »is« in »mimesis« – enthält, immer diskursiv konstituiert, auch wenn das gelegentlich von den Sprechenden unbemerkt bleibt. Das kritische Bewusstsein über diese diskursive Wirklichkeit ist der Beginn einer zweiten Phase der Repräsentation: den eigenen Repräsentationspolitiken.
Es kam also zur Wende in den Politiken der Schwarzen Selbstrepräsentation (es ist anzumerken, dass wir diese Wende nie als historische Tatsache behandeln können, vielmehr müssen wir uns auf sie als eine Bedingung und Möglichkeit beziehen) als diese einheitliche Schwarze Repräsentation, die sich als mimetisch verstand, sich als partikular und konstruiert erwies. Diese Repräsentation wurde von zwei Hierarchien angetrieben: Einerseits wurde sie von außen von der weißen, hegemonialen Projektion vor und während der Bürgerrechtsbewegung angetrieben; andererseits wurde sie zuungunsten anderer Untergruppen erreicht und verschaffte sich – notwendigerweise durch die Unhörbarmachung anderer – Gehör.
Ich möchte hinzufügen, dass obwohl das Aufeinanderfolgen dieser Phasen als historische Notwendigkeit erscheint, die zweite Phase die erste kritisieren darf. Diese Kritik ist immer relevant, da – anders als bei mimetischer Repräsentation – das Bewusstsein über die diskursive Konstruktion von Repräsentation nie selbstverständlich ist und sich immer gegen vorherrschende Interessen wendet. Die zwei Phasen unterscheiden sich somit durch die linguistische Wende in den Politiken der Repräsentation. Um eine Schlussfolgerung der aktuellen Forschung für einen Moment vorwegzunehmen: Der linguistic turn hinterlässt Spuren in der konzeptuellen Parenthese des Sostar-Kollektivs – oder ermöglicht zumindest folgende Lesart: Roma – {Roma}.
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