Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma

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Ronald Lee

Die Roma-Bürgerrechtsbewegung in Kanada und den USA

Abstract

Die Roma-Communitys in Kanada und den USA unterscheiden sich im Hinblick auf ihren Hintergrund. Einige Vlach-Roma-Gruppen, die hauptsächlich aus Kalderash und Machvaya bestanden, kamen in den späten 1890er Jahren nach Amerika. In Kanada werden Sinti und Roma zum ersten Mal um 1900 erwähnt. Eine Kalderash-Hochzeit in Peterborough im Jahr 1909 stellt die erste Nennung von Rom_nja in einer kanadischen Zeitung dar.1 Von anderen Gruppen wie beispielsweise den britischen Romanichals, den schottischen Nakins, den irischen Minceir, den Lovari, den Karpati-Roma, den Khorakhane, den Beyash, den Ludars und den Rudari weiß man, dass sie bereits in den 1860er Jahren oder sogar noch früher in die USA kamen. 1956 kamen die ungarischen Romungre dazu, die nach dem ungarischen Volksaufstand vor der sowjetischen Invasion geflohen waren.2

Zu keinem Zeitpunkt wurden Sinti und Roma in Amerika in dem Ausmaß verfolgt wie in Europa. Waren sie erst einmal der jeweiligen Mehrheitssprache mächtig, so war es für Roma-Migrant_innen in Nordamerika nie ein Problem, Anwält_innen anzuheuern, die ihnen bei den Problemen mit den Behörden beistanden. Sie konnten sich in ihrem eigenen Tempo an die technologischen Veränderungen gewöhnen, waren nie gezwungen, in Ghettos zu leben, und wurden in dem Moment unsichtbar, in dem sie ihren nomadischen Lebensstil im Zuge der massenhaften Verbreitung des Automobils und der »Großen Depression« ablegten. Aus dieser trotzdem randständigen Beinahe-Unsichtbarkeit und -Integration wurden sie erst durch die Kampagnen der europäischen Roma-Bewegung gerissen – und dann, nach 1989, noch einmal, als Roma-Flüchtlinge aus dem von Nationalismus, Neoliberalismus und Rassismus durchgerüttelten postkommunistischen Osteuropa Amerika erreichten.

Die Sinti und Roma, die seit dem 19. Jahrhundert in die USA gekommen waren, hatten kein offizielles und von oben verordnetes Assimilationsprogramm zu erdulden, sie erlitten keinen Nazi-Genozid und hatten auch nicht mit der assimilationistischen Umerziehungspolitik des Kommunismus zu kämpfen. Doch auch sie litten – und leiden – unter der Behandlung durch die Behörden und der Stimmungsmache der Medien. Zwei der schlimmsten racial profiler sind beispielsweise der frühere Detektiv Dennis M. Marlock und der Soziologie Jon Dowling.3 Auf der Webseite, die Dowling betrieb, wurden Leute gelistet, denen Regelverstöße nur vorgeworfen wurden, ohne dass sie aber dafür verurteilt worden waren, oder Leute, die zwar angeklagt, aber später freigesprochen worden waren. Dowling vertritt den Mythos von »den ehrlichen Rom_nja« und »den kriminellen Zigeunern«. An einem Beispiel wie ihm wird der latente Antiziganismus der Mehrheitsgesellschaft offenbar.

Thomas Acton | A Report on the Situation of Roma in the United States, c.1988 | Bericht | Vereinigte Staaten von Amerika | 1988 | rom_30008 Rights held by: Thomas Acton I Licensed under: CC-BY-NC-ND 4.0 International | Provided by: Thomas Acton - Private Archive

Sinti und Roma wurden zu dem, was die Professorin Rena C. Gropper einmal als »die verborgenen Amerikaner_innen«4 bezeichnete. In multikulturellen Gesellschaften, in denen eine dunklere Hautfarbe nichts Seltenes ist, konnten wir eine Defensivstrategie wie Roma le Romensa thaj Gadzhe le Gadzhensa anwenden: Ein Rom/eine Romni unter Rom_nja, kein Rom/keine Romni unter Nicht-Rom_nja. So gesehen befanden sich Sinti und Roma, besonders die besser integrierten von ihnen, noch bis vor Kurzem »in the closet«. Erst als mit dem Ende des Kommunismus eine Vielzahl von Sinti und Roma aus Europa nach Kanada und in die USA kamen und dort neue Communitys gründeten, änderte sich die Situation. Denn erst durch diese Zuwanderung aus den postkommunistischen Ländern wurde eine politische Arbeit für die Anliegen der Sinti und Roma in Kanada und zu einem Teil auch in den USA notwendig.

Ioana Constantinescu | Interview with Ian Hancock | 2017 | rom_30062_1 Rights held by: Thomas Acton / Media Laboratory of the University of Texas at Austin (shooting&editing) | Licensed under: CC-BY-NC-ND 4.0 International | Provided by: RomArchive