Eine Periode der Professionalisierung, 1990–2008
1990 entschloss sich Charles Smith, ein junger Roma-Aktivist aus Essex, die glorreichen Zeiten des Gypsy Council wieder aufleben zu lassen, und ließ sich statt Peter Mercer als Vorsitzender des NGEC wählen. Auf sein Betreiben wurde es in Gypsy Council for Education, Welfare and Civil Rights umbenannt. Diese Organisation wurde vom alten National Gypsy Council, angeführt von Hughie Smith, verklagt, gewann aber den Prozess und erhielt 14.000 Britische Pfund Prozesskosten erstattet. Sie wurde in eine Limited Company (Aktiengesellschaft nach britischem Recht) umgewandelt, bemühte sich aktiv um Zuschüsse, eröffnete ein ständiges Büro in Avely, Essex und stellte Sekretariatsmitarbeiter_innen ein. Der Roma-Popsänger David Essex erklärte sich bereit, die Schirmherrschaft zu übernehmen. Verbindungen zu Indien wurden aktiv von Veerendra Rishi gefördert, dem Sohn des Diplomaten Weer Rajendra Rishi, der die Zeitschrift ROMA gegründet hatte. Nach 1989, als Rom_nja aus Europa begannen, in großer Zahl zu immigrieren, beauftragte der Gypsy Council Donald Kenrick und Thomas Acton als Sprecher der internationalen Rom_nja, Fallbearbeitungen vorzunehmen. Nach und nach wurden osteuropäische Roma-Organisationen gegründet; Ladislav Balasz beispielsweise organisierte Slovak Roma. Slovak Roma wiederum half 1998 bei der Gründung der Roma Support Group (RSG), aber diese wurde weitgehend von polnischen Rom_nja dominiert, mit Rosa Kotowicz als Vorsitzender und Sylvia Ingmire als Organisatorin und dann Geschäftsführerin. Die Organisation arbeitete aber für alle Rom_nja und war die erfolgreichste NGO, wenn es darum ging, Gelder zu beschaffen. Es gelang, rumänische Bürgerrechtsaktivist_innen wie Cornel Rezmives in den Vorstand zu holen, der in den 1980er Jahren mit Nicolae Gheorghe gearbeitet hatte.
Der neue Gypsy Council (CG) schien wegen der Aufhebung des Caravan Sites Act von 1968 im Jahr 1992 eine politische Niederlage einzustecken, konzentrierte sich aber darauf, gut durchdachte Ratschläge zu individuellen Wohlfahrtsthemen zu geben; aber andere Organisationen, die nicht mehr Teil des von Peter Mercer geführten, eher entspannten NGEC waren, wurden autonomer. Nach einem Disput über die Rolle von lesbischen und schwulen Rom_nja verließ Sylvia Dunn den Gypsy Council, um 1994 die National Association of Gypsy Women zu gründen, die 20 Jahre existierte. Sie wurde von Peter Mercer und dem East Anglian Gypsy Council unterstützt und orientierte sich an der von Siobhan Spencer geleiteten Derbyshire Gypsy Liaison Group (DGLG), die nach und nach die größte Roma-NGO wurde. Eine wachsende Unabhängigkeit im Handeln sowohl von britischen Traveller- und Gypsy-Frauen wie auch von immigrierten Roma-Frauen prägte diese Zeit. Die Tatsache, dass sowohl die DGLG als auch der GC eindeutig von Rom_nja geführte Organisationen waren, führte zur Gründung des Irish Travellers’ Movement, angeführt von katholischen irischen Aktivist_innen, die sich aber auch für Pavee - und Mincer -Aktivist_innen einsetzten, die nach und nach eine größere Rolle in der Leitung der Organisation einnahmen. Ebenso wichtig war die Gründung von Friends and Families of Travellers, eine Organisation für »New Travellers«, Hippies, die von Popfestivals lebten, die nach und nach von Mitgliedern übernommen wurde, die tatsächlich von Rom_nja, Nachin, Pavee oder Minceir abstammten, aber sich weiterhin für Nomad_innen einsetzten, gleichgültig, was deren ethnische Wurzeln waren. Alle diese Gruppen konkurrierten um Regierungs- und Stiftungsgelder und darum, Sozialarbeit für Mitglieder der Community zu leisten – und nach und nach gab es ein sinkendes Interesse, Kampagnen zu organisieren, um die Regierungspolitik zu verändern oder am internationalen Kampf teilzunehmen, da Spaltungen in der internationalen Bewegung Aktivist_innen desillusionierten.
Die Lücke in der Lobbyarbeit wurde 1997 deutlich. Die großen Hoffnungen, die Travellers in die neue Labour-Regierung gesetzt hatten, wurden enttäuscht, als Premierminister Tony Blair alle alten Labour-Schattenminister entließ, mit denen die Traveller-Organisationen gesprochen hatten, und eine Politik betrieb, die noch schlechter war als die der Tory-Regierung unter John Major. 2002 wurde eine neue Traveller Law Reform Coalition (TLRC) gegründet, organisiert von Jurist_innen und angeführt vom radikalen Traveller-Aktivisten Len Smith. Gypsy Council, Traveller Movement, National Federation of Gypsy Liaison Groups, Scottish Traveller Action Group und Friends, Families and Travellers (FFT) waren alle enthusiastische Unterstützer; ein solches Maß an Geschlossenheit hatte es seit 20 Jahren nicht gegeben. Die TLRC präsentierte sich als eine Denkfabrik, die evidenzbasierte Ratschläge gab, und überzeugte die Regierung nach und nach, wieder Wohnwagenplätze nach Bedarf zur Verfügung zu stellen. 2005 brach die Koalition wegen interner Konflikte zusammen und die National Federation of Gypsy Liaison Groups (NFGLG) wurde gegründet; dabei waren die Derbyshire Gypsy Liaison Group (mit Siobhan Spencer) und der East Anglian Gypsy Council (mit Peter Mercer) zu Anfang die wichtigsten Unterstützer.
Andere wichtige Akteure waren das Traveller Movement (ursprünglich Irish Traveller Movement) sowie Friends , Families and Travellers (ursprünglich auf »New Travellers« konzentriert). All diese Organisationen folgten dem von Charles Smith entwickelten Modell der zuschussfinanzierten Professionalisierung. Der Gypsy Council allerdings wurde schwer von Krankheit getroffen. 2005 starben zunächst dessen Präsidentin Josie Lee und dann der Vorsitzende Charles Smith, und die Sekretärin Ann Bagehot sowie der Schatzmeister George Wilson erkrankten ebenfalls im selben Jahr. Daniel Barker, der die künstlerische Arbeit des Gypsy Council erweitert hatte, übernahm den Vorsitz, als die Konten in Rückstand gerieten, und hatte dann die schwierige und schmerzliche Aufgabe, das Gypsy Council als Limited Company abzuwickeln. Während seiner Amtszeit wurde das neue Romani Visual Arts eine wichtige Bewegung, und zwar nicht nur im Vereinigten Königreich, sondern auch international. Eine wichtige von der gesamten Traveller Law Reform Coalition unterstützte Bildungsinitiative war der Gypsy Roma Traveller History Month, der im Juni immer noch in vielen Schulen begangen wird. Das Projekt, ursprünglich von der britischen Regierung finanziert (heute wird es nur noch von der walisischen Regierung unterstützt), wurde von Patricia Knight geleitet, einer Romani-Lehrerin, die sich ihren Ruf für ihren mutigen lokalen Einsatz erworben hatte, als sie sich (unterstützt von Janet Keet-Black von der 500 Mitglieder starken Traveller Family History Society) gegen die Bewohner_innen des Dorfes Firle wehrte, die 2003 bei ihrer Bonfire Night »Gypsy«-Puppen verbrannt hatten.