Es ist fast unbekannt, dass die Tradition des Roma-Theaters bis in die 1930er Jahre zurückreicht. Das Theater Romen ist nach wie vor das größte Symbol dieser Form der Roma-Kultur. Ein kurzer Überblick über die historische Entwicklung dieser Institution kann als Paradigma der Bewahrung einer nationalen und kulturellen Identität dienen. Das Theater Romen spiegelt die Besonderheiten der Roma-Identität und -Kultur wider.
Die Kultur der Rom_nja und soziale Fragen – Die Geschichte des Teatr Romen
»Die kulturelle und nationale Identität der Sinti und Roma in Europa hat sich nach einem Modell der Vielfalt in Relation zum westlichen Kulturraum entwickelt, wobei wir in diesem Fall die christlichen und islamischen Länder meinen, in denen sich die Sinti und Roma niedergelassen haben. Ihre erfolgreich bewahrte ethnische Identität trug dazu bei, dass ihre Tradition und ihre Wertvorstellungen von den europäischen Völkern nicht akzeptiert wurden, und schuf die Grundlage für die Entwicklung der Diskriminierung, die ihnen bis nach Europa folgte. Sklaverei, Völkermord, Konflikte und brutal organisierte Angriffe auf die Sinti und Roma sind nicht nur Teil ihrer Identität, sondern für die Sinti und Roma auch eine Bruchstelle zum Nationalismus. Thomas Acton stellt zu Recht fest, dass die Sinti und Roma eine fragmentierte und nur schwach definierte Nation sind, die eher Kontinuität als eine kulturelle Einheit besitzt. Elitegruppen fördern die getarnte Identität der Sinti und Roma und sind Träger_innen der Idee der Einheit der Sinti und Roma aller Herkunft.«
Sicherlich ist die Gründung des Teatr Romen ein Beispiel für die Existenz der Roma-Kultur als Elitekultur, wenn man bedenkt, dass dieses Theater die Charakteristik eines repräsentativen Repertoiretheaters trägt und seine Bestimmung nach den Vorbildern anderer Nationaltheater in der Welt und in Europa definierte. So sind die Ziele des Teatr Romen die Erhaltung der Sprache und Dramaturgie der Rom_nja sowie die Entwicklung und Förderung authentischer und einzigartiger Schauspiel- und Regiestile. Die Aufführungen dieses Theaters basieren auf einer Theatralisierung, die manchmal bis an die ultimativen Grenzen der Stilisierung der Roma-Kultur und ihrer synkretistischen Besonderheiten geht. Im Verhältnis zum westlichen Theaterverständnis, bei dem das Theater vorranging eines der Worte und des Dramas ist, ist dieser Ansatz sehr originell und kreativ.
So sehr das Teatr Romen einer Staatsideologie diente, so sehr diente es auch den Rom_nja.
Das Teatr Romen war in erster Linie ein Produkt des sowjetischen politischen Systems. Die von Anatoli Wassiljewitsch Lunatscharski entworfene Kulturpolitik des sozialistischen Staates war sicherlich nur ein Teil der Verwirklichung des »globalen Ziels«. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern hat sich die Sowjetunion für eine andere Art der Kommunikation mit den Rom_nja entschieden. So sehr das Teatr Romen einer Staatsideologie diente, so sehr diente es auch den Rom_nja.
Anatoli Wassiljewitsch Lunatscharski, der Kulturminister der Sowjetunion, unterstützte den Vorschlag einer Jugendpartei, ein Roma-Theater zu gründen, das das erste seiner Art in der Sowjetunion und der Welt sein würde. Auf der Sitzung der Kulturkommission des Volkskommissariats am 4. Oktober 1930 wurde die Gründung eines »Indo-Roma-Theaters« beschlossen (»Indo« in diesem Fall bezogen auf Indien, der alten Heimat der Sinti und Roma). Ivan Rom-Lebedev wurde mit den ersten Arbeiten beauftragt. Auf der Sitzung der Theatergruppe am 16. November desselben Jahres wurde eine Organisationsgruppe gewählt. Diese Gruppe war für die Gründung einer künstlerischen Werkstatt des Roma-Theaters verantwortlich. Ihre Mitglieder waren S. M. Bugachevski (künstlerischer Leiter), Ivan Rom-Lebedev (Dramatiker), Georgij P. Lebedev (Erster Leiter) und I. D. Faily (stellvertretender Direktor). Jemand musste das zweite Stück über Roma-Themen schreiben, und diese Aufgabe wurde Alexander V. Germano übertragen. In einer öffentlichen Debatte von Theaterschauspieler_innen, Regisseur_innen, Dramatiker_innen und Musiker_innen wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass das Theater auf jeden Fall auf Drama und Musik orientiert sowie international sein sollte. Am 20. Dezember 1930 veröffentlichte die Zeitschrift »Vechernyaya Moskva« einen Artikel, der die Eröffnung der künstlerischen Werkstatt des Indo-Roma-Theaters und ein Vorsprechen für den 25. Dezember desselben Jahres ankündigte.
Roma-Aktivist_innen und -Künstler_innen des Theaters kämpften darum, ihre eigene Autorität über die Entwicklung dieser sowjetischen Roma-Kunst zu behaupten und den wechselnden Anforderungen der stalinistischen Politik und Kultur gerecht zu werden.
Die offizielle Eröffnung der künstlerischen Werkstatt fand am 24. Januar 1931 statt. Auf dem Gelände des ehemaligen Lettischen Clubs, an der Ecke Puschkin-Straße und Puschkin-Platz in Moskau, fand die Premiere von »Atasia, die Adadive« statt. Regie führte Moysey Isaakovich Golydblat. Trotz der kurzen Vorbereitungszeit wurden die Bemühungen des Roma-Theaters sowohl vom Publikum als auch von den Kritiker_innen geschätzt. Es hieß: »Sie sind begabt und man kann alles von ihnen erwarten.« Die nächste Bühnenaufführung fand im Dezember 1931 unter dem Titel »Leben auf Rädern« statt. Das Stück wurde auf Romanes aufgeführt und war sehr erfolgreich. Bald darauf änderte das Theater seinen Namen. Anstelle des ursprünglichen Indo-Roma-Theaters wurde es zum Moskauer Zigeuner-Theater Romen (MHAT). Mit »Leben auf Rädern« begann ein für das Teatr Romen und seine Künstler_innen anstrengendes Jahrzehnt, in dem sie versuchten, geschickt zwischen den Entwicklungen der stalinistischen Politik in Bezug auf Kunst, Nationalitätenpolitik und dem »sozialistischen Gehalt« der sowjetischen Kultur zu navigieren. In den 1930er Jahren wurde dem Teatr Romen von den sowjetischen Behörden mehrmals mit der Schließung gedroht. Hinter den Kulissen kämpften die Roma-Aktivist_innen und -Künstler_innen des Theaters darum, ihre eigene Autorität über die Entwicklung dieser sowjetischen Roma-Kunst zu behaupten und den wechselnden Anforderungen der stalinistischen Politik und Kultur gerecht zu werden.
In den frühen Jahren des Teatr Romen dominierten von Roma-Autor_innen auf Romanes geschriebene Stücke das Repertoire. Diese Stücke – wie »Leben auf Rädern« – verbanden treu den sozialistischen Realismus mit der Logik der sowjetischen Nationalitätenpolitik; es waren einfache Geschichten von »rückständigen Zigeunern«, die zu »neuen sowjetischen Rom_nja« wurden. Die Truppe des Teatr Romen spielte diese Stücke auf der Bühne in Moskau, reiste aber auch in der Sommersaison regelmäßig zu den Kolchosen der Rom_nja in der ganzen Sowjetunion, um vor Schwestern und Brüdern auf dem Land aufzutreten.
Doch schon 1933 wurden Rufe innerhalb und außerhalb der Theaterverwaltung laut, den bestehenden Kurs zu ändern und ein »klassischeres« Repertoire anzunehmen. 1934 hatte eine Bühnenfassung von Prosper Mérimées »Carmen« im Teatr Romen Premiere und erhielt enttäuschende Kritiken in der sowjetischen Presse. Schon früh tauchten – erneut sowohl inner- als auch außerhalb des Theaters – Zweifel über die Möglichkeit auf, die Stücke des Teatr Romen auf Romanes und nicht auf Russisch aufzuführen. Die meisten Zuschauer_innen des Teatr Romen in Moskau konnten kein Wort der auf der Bühne gesprochenen Sprache der Rom_nja verstehen. Viele der Schauspieler_innen beherrschten Romanes selbst nicht fließend und wollten auf Russisch auftreten. Unterdessen wurden einige der Romen-Künstler_innen schnell müde von dem, was sie als Respektlosigkeit der Nicht-Roma-Theaterverwaltung und der desinteressierten sowjetischen Beamten empfanden. In der Mitte des Jahrzehnts befand sich das Teatr Romen spürbar in einer Krise.1
In den ersten Jahren war das Repertoire ein großes Hindernis für das Theater. Die Mitglieder vom Teatr Romen konnten nicht jedes Stück aufführen, das ihnen gefiel. Das Publikum wollte das Leben der Rom_nja, ihren Alltag und ihre Vergangenheit sehen; sie wollten »Zigeunermusik« hören und »Zigeunerkostüme« bewundern. Aus diesem Grund wurde Ivan Rom-Lebedev zum Dramatiker und übersetzte D. F. Sverchkovs Stück »Der Stamm des Pharao« ins Romanes. 1933 verfasste Lebedev sein erstes Originalstück »Ganka«. In wenigen Jahren übernahm die »Zigeunerdramaturgie« die Hauptrolle im Repertoire des Theaters. Bald darauf begann der Regisseur Moysey Isaakovich Golydblat darüber nachzudenken, klassische Stücke wie die Oper »Carmen« und »Die Zigeuner« von Alexander Sergejewitsch Puschkin auf Romanes zu inszenieren. Die Kritiker_innen reagierten nicht positiv auf diese Entwicklung des Roma-Theaters und behaupteten, dass sie dem Wesen des »Zigeunertheaters« und der »Zigeunerkunst« nicht entsprachen. Sie sagten, der einzige künstlerische Weg, dem das MHAT folgen sollte, sei der des Romen.
Für einige Zeit war das Theater ohne künstlerische Leitung. Als dann Mihail Mihailovich Yanshin, ein Schauspieler des MHAT, künstlerischer Leiter wurde, begann er öffentlich die Schwächen des Theaters sowie die Notwendigkeit einer künstlerischen Weiterentwicklung dieser einzigartigen Institution hervorzuheben. Yanshin wurde am 13. September 1937 künstlerischer Leiter. Zur selben Zeit war der renommierte Konstantin Sergejewitsch Stanislawski eines der Mitglieder des Theatervorstandes. Der Einfluss des berühmten Schauspielsystems von Stanislawski, der eine ernsthafte psychophysikalische Vorbereitung und das Studium der Biografie und des Verhaltens der Figur forderte, sowie eine große Anzahl von Proben während der Vorbereitung des Stücks und die Achtung hoher ethischer Normen in Bezug auf die Theatergruppe beeinflussten sicherlich die Professionalität und die guten künstlerischen Grundlagen in der Arbeit des Theaters Romen. Die Qualität des Roma-Theaters jener Jahre lässt sich am besten durch die Tatsache veranschaulichen, dass in den Stücken regelmäßig Gastdarsteller vom MHAT auftraten, wie V. I. Kachalov, A. P. Kotorov und O. N. Androvskaya. Während Yanshins Ära wurden zwölf Stücke im Theater aufgeführt, darunter die »Soiree mit Liedern und Tänzen«, »Makar Chudra«, »Der seltsame Schuster«, »Carolina«, »Das Lied von Ursar«, »Zum Glück«, »Die Braut aus dem Ghetto«, »Die Tochter des Zeltes« und »Aktive Personen«.
Im Mai 1941 unternahm das Theater eine Tournee durch das Land. Während das Ensemble des Teatr Romen auf Tour ging, blieb Yanshin beim MHAT. In Swerdlowsk (heute Jekaterinburg) trafen sie auf den Krieg. Für alle waren harte Zeiten angebrochen, auch für das Theater, aber trotz der Schwierigkeiten arbeiteten sie weiter. Sie traten in Leningrad (heute Sankt Petersburg), Ivanowo und Swerdlowsk auf, wo ihre Tournee sehr erfolgreich war. Während der Kriegsjahre bereiste das Theater mehr als sechzig Orte in Sibirien, im Fernen Osten, in Zentralasien und in der Kaukasusregion und wurde überall herzlich empfangen. Die Tour endete in Machatschkala. Nach ihrer Rückkehr nach Moskau 1943 erhielten alle Mitglieder des Theaters für ihre Tapferkeit während des »Großen vaterländischen Kriegs« die Medaille »Verteidigung des Kaukasus«. Während des Krieges hatte das Theater drei Stücke im Repertoire: »Das wahre Gesicht«, »An den Ufern der Dnister« und »Alles über Dich«.
Nach Kriegsende kehrte das Theater nach Moskau zurück. Obwohl Yanshin nicht mehr am MHAT war, führte er bis 1949 beim Teatr Romen Regie. Später wurde er Leiter des Stanislawski-und-Nemirowitsch-Dantschenko-Musiktheater. Petr Savich Saratovski wurde Leiter des Theaters Romen. Er reinszenierte einige exquisite Stücke, darunter »Die Zigeuner«, »Die Tochter des Zeltes«, »An den Ufern der Dnister«, »Esmeralda« und »Liebe und Tod«. Leider konnte er nicht nur am Theater Regie führen, sondern musste auch an der Musikhochschule unterrichten. Es war ihm nicht möglich, sich ganz der Arbeit am Theater zu widmen, das er bald verließ. Er wurde durch Semen Arkadevich Barkan ersetzt. Der Künstler verbrachte viele Jahre im Theater und inszenierte zahlreiche zeitgenössische, klassische und folkloristische Stücke. Seine bekanntesten Stücke waren »Das kleine Gasthaus Markely«, »Aza, das Zigeunermädchen«, »Hallo Puschkin«, »Heißes Blut« und »Ich wurde im Ghetto geboren«. Jedes dieser Stücke wurde sowohl von der Kritik als auch vom Publikum gut angenommen. 1951 wurde Barkan durch den berühmten Schauspieler und Sänger Nikolai Alekseyevich Slichenko ersetzt. Seine wichtigsten Bühnenauftritte hatte er in »Die Zigeuner reisen«, »Wir sind Zigeuner« und »Grushenka«. Am Theater führte Slichenko auch Regie. Seine Inszenierung von »Die Zigeuner reisen« ist sehr berühmt. 1977 inszenierte er mit großem Erfolg das komplexe und anspruchsvolle Stück »Wir sind Zigeuner«.
Das Teatr Romen verfolgt seinen eigenen kreativen Weg, indem es die authentische Folklore der Rom_nja wiederbelebt und weiterentwickelt.
Der Ruhm des Romen-Theaters hat sich inzwischen längst über die Grenzen Moskaus hinaus ausgedehnt. Die originelle Kunst des talentierten Ensembles wird vom Publikum in Russland, in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und im Ausland bewundert. Es erfreut sich der gleichen Anerkennung und Beliebtheit wie in früheren Zeiten, als seine Geschichte gerade erst begann.
Das Teatr Romen verfolgt seinen eigenen kreativen Weg, indem es die authentische Folklore der Rom_nja wiederbelebt und weiterentwickelt, ein Repertoire zu Themen entwickelt, die dieser Gemeinschaft nah sind, und Musik, Lieder und Tänze der Rom_nja in die Bühnenproduktionen einbezieht.
Eine der erfolgreichsten Produktionen des Theaters ist das mit dem Moskauer Literatur- und Kunstpreis ausgezeichnete Parabelstück »Tabor Spiele«. Die legendäre Aufführung feierte ihr 40-jähriges Jubiläum. Die Geschichte des »Zigeunervolkes«, der ewigen Wandererschaft, wird in einem aufregenden Rhythmus mit leidenschaftlichen Liedern und fesselnden Tänzen erzählt.
Die lebhafte Folkmusik-Show hat das Publikum in Japan, Frankreich, Italien, Indien, Jugoslawien, Österreich und in der Türkei sowie in vielen anderen Ländern begeistert.
Zum Jubiläum hat das Teatr Romen eine Premiere vorbereitet. Zum ersten Mal bezieht sich das Theater auf die Geschichte seiner Gründung. Das Stück »Die singenden Saiten der Seele« erzählt von den Ursprüngen des Theaters und seinen Gründer_innen. Die Zuschauer_innen können gar nicht anders, als sich in die herausfordernden und wahren Lebensgeschichten der drei Hauptfiguren Nikolay Khmelev, Lyalya Chornaya und Michael Yanshin einzufühlen.
Die bewegte Lebensgeschichte des einzigartigen Theaters wird im Rahmen des Ausstellungsprojektes »Vom Zigeunerchor zum Theater« im Feodor-Chaliapin-Museum präsentiert. Es ist das erste gemeinsame Projekt des Teatr Romen mit den beiden führenden russischen Bundesmuseen, dem Glinka-Musikmuseum und dem Bakhrushin-Theatermuseum. Die Besucher_innen können einzigartige, noch nie zuvor ausgestellte Exponate sehen.
Das Theater hat sich zu einer der bedeutendsten Institutionen der Roma-Kultur entwickelt und beherbergt heute die dritte Generation von Roma-Künstler_innen. Das fünfzigjährige Bestehen des Theaters wurde 1981 gefeiert. Die wichtigste Tournee des Teatr Romen war die erste Auslandsreise im Jahr 1982 nach Japan. Im Oktober desselben Jahres kehrte das Theater nach Moskau zurück und tourte 1983 mit großem Erfolg durch Jugoslawien. Die jugoslawische Presse schrieb, dass kein anderes ausländisches Theater bei einem Gastspiel in Jugoslawien so viele positive Reaktionen hervorrief wie das Teatr Romen. Die Begegnungen mit Pablo Neruda, Anna Seghers, Eduardo de Philip, María Teresa León und Nâzım Hikmet bei den zahlreichen Tourneen im Ausland bleiben in Erinnerung.
Das Theater hat sich zu einer der bedeutendsten Institutionen der Roma-Kultur entwickelt und beherbergt heute die dritte Generation von Roma-Künstler_innen.
In den 1990er Jahren wurden Stücke aufgeführt, die Wiederaufführungen im neuen Jahrhundert erlebten. Eines von ihnen ist »Hallo Puschkin« von Georgi Zhemchuzhin und Arnold Hessen, unter der Regie von Ivan Rom-Lebedev, dem Gründer des Theaters. Bekanntlich war Puschkin in die Besonderheiten der Gemeinschaft der Rom_nja, in ihre Musik, Kunst und Wertvorstellungen verliebt. Puschkins Stück »Die Zigeuner« (1824), das die Grundlage von »Hallo Puschkin» des Teatr Romen bildet, ist eines der wichtigsten Werke der Weltliteratur, das sich mit dem Schicksal der Rom_nja beschäftigt. Das auf Puschkins Werk basierende Drama wurde 1974 geschrieben. Die Autoren kombinierten biografisches Material und Briefe des Dichters, die er an seine nahen Verwandten geschickt hatte. Teile von »Die Zigeuner«, von Puschkins Versroman »Eugen Onegin« und reale Situationen aus seinem Leben wurden in der Aufführung und dem Bühnenbild verwendet. Das Stück wurde 1996 uraufgeführt. Am 12. Januar 2016 kam es zur Wiederaufführung der Inszenierung. Das Publikum nahm das Stück mit großem Interesse und Begeisterung auf. »Es war eine brillante Show« und »[d]ie Schauspieler_innen auf der Bühne glänzten«, zitierte die Zeitung »Cultural News« einige der Zuschauerkommentare.
Die für die gegenwärtige Periode des Theaters prägende Aufführung ist die »Zigeunergräfin«. Das Stück wurde 1998 uraufgeführt und am 1. Dezember 2015 wiederaufgeführt. Der Autor des Konzepts und des dramatischen Texts war Petar Gradov. Sänger und Regisseur war Nikolai Slichenko. Das Stück spielt im 18. Jahrhundert in Spanien. Es folgt dem Schicksal einer jungen, enthusiastischen Sängerin namens Menitana, die ihren Lebensunterhalt damit verdient, auf den Straßen von Madrid zu singen. Dabei verliebt sie sich in die Welt der Armen, wünscht sich jedoch trotzdem ein besseres Leben. Im Verlauf des wendungsreichen und von Liebeskomplikationen geprägten Stücks verliebt sich das Mädchen in den König von Spanien, der versucht, sie zu seiner Mätresse zu machen. Zwischen ihnen entwickelt sich ein »Liebesspiel«. Das unterhaltsame Spektakel ist von Liedern, Komödiantischem, Konflikten und Witzen geprägt.
Das Repertoire der Spielzeit 2017/18 des Teatr Romen war geprägt von einer musikalischen Komödie aus dem Leben des zeitgenössischen Roma-Regisseurs und Autors Nikolai Lekarevs. Sie basiert auf dessen Text »Diamanten und Liebe«. Die Geschichte ist sehr einfach und komisch. Sie verfolgt das Schicksal eines reichen Roma-Mannes, der heiraten will. Jedoch verursachen seine Umgebung und seinen Freundeskreis zahlreiche Komplikationen, um ihn davon zu überzeugen, dass es seiner Auserwählten nicht um Liebe geht, sondern um Diamanten. So verursacht beispielsweise eine einzige Lüge eines ungebetenen Gastes im Haus eines Roma-Geschäftsmannes eine Reihe von Verwirrungen und Verwechslungen, die von einem »feurigen« Tanz des Tanzensembles gekrönt werden.
Die Performance »Schöner Prinz« ist ein weiteres Stück, das mehr als zwanzig Jahre zuvor auf der Bühne des Teatr Romen aufgeführt wurde. Es handelt sich um eine melodramatische Geschichte der Autorin Isidora Shtok. Der Held des Stückes, Prinz Golovan, trifft »die Perle« des Salons Gruschenka und verliebt sich in sie. Der Prinz ist fasziniert von ihrer Sanftmut und Zerbrechlichkeit, doch im Verlauf der Performance erfährt das Publikum, dass er nur nach einem flüchtigen Liebesabenteuer sucht. Gruschenka wird ihm schnell langweilig, und er wendet sich der Verführung anderer Frauen zu.
»Fluch« ist ein Stück, das in der Spielzeit 1986 unter der Regie von Nikolai Leskov im Teatr Romen aufgeführt wurde. Das Stück über Liebe und Leidenschaft handelt von einer Roma-Hochzeit und basiert auf Versen von Federico García Lorca und Zhemchuzhina. Für den Autor bedeutet die Präsentation einer authentischen Roma-Hochzeit echte Kunst, denn nichts könne »diese festliche Atmosphäre stören: die Freude, den Tanz, das Feuerwerk, die Feier, das Ritual im Glanz des Lebens«, wie er im Programmheft zum Stück schreibt.
Im aktuellen Spielplan (stand 2017) findet sich das Spektakel »Zerrissene Saiten der Seele«, ein Stück, das nach einem Text von V. Romanov und N. Serijenko mit der Idee entstanden ist, den Geist des Roma-Theaters in seiner einstigen Form darzustellen.
Nikolai Slichenko, Regisseur und Schauspieler des Romen, feierte 2015 sein 64-jähriges Arbeitsjubiläum. Dieser große Schauspieler und Sänger begann 1951, mit dem Theater Romen aufzutreten, und ist bis heute ein Star und ein Erkennungszeichen des Theaters. Neben Slichenko ist Tamila Agamirova eine der Schauspieler_innen, die die zeitgenössische Schaffensperiode des Theaters Romen geprägt haben. Sie zeichnet sich durch hohe Ausdruckskraft und großes schauspielerisches Können aus und hat bereits über 50 Rollen gespielt. In ihrer wichtigsten Rolle ist sie die Hauptdarstellerin in dem Stück »Dickköpfiges Herz«.
»Wir sind Zigeuner«, eine anthologische Performance, die an die Geschichte des Welttheaters, aber auch die Geschichte und Gründung des Theaters Romen erinnert, wurde in der 85. Spielzeit des Theaters anlässlich des 40. Jahrestages der Uraufführung (1977) wiederaufgeführt. Zhanrovsky inszenierte das Stück der Autoren Nikolai Slichenko und Ivan Rom-Lebedev als eine Roma-Volksmesse für ein neues Publikum, um den Weg der Entstehung der Roma-Nation durch die Wiederbelebung der Tradition des Theaters aufzuzeigen. Das Spektakel wurde in Zusammenarbeit mit dem Russischen Nationalmuseum für Musik, dem Glinka-Musikmuseum, und dem Bakhrushin-Theatermuseum wiederaufgeführt, das zum Jubiläum eine Ausstellung zur Geschichte des Teatr Romen organisierte.
Bei der Gestaltung der Spielpläne im 21. Jahrhundert folgen die Verantwortlichen des Teatr Romen dem eingeschlagenen Weg, Musicals, Dramen und Tanzspektakel zu präsentieren. Die Aufführungen verhindern das Vergessen und bewahren die Symbolik und Bedeutung der Roma-Kultur, die in all ihren Eigenschaften und Facetten dargestellt wird: die Sehnsucht und das Verlangen nach freier Wahl und selbstbestimmtem Leben; die Artikulation der Mythen der Rom_nja; ihr Ungehorsam gegenüber starren sozialen Regeln; der hohe Wert der Liebe; der energische Ausdruck der Eifersucht in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Temperamente, leidenschaftlicher Tanz sowie originelle und stilisierte (modernisierte) Roma-Musik, reiche Choreografien und aufwendige Kostüme sowie virtuose russische Tänzer_innen sind nur einige der Kennzeichen des spektakulären Theaters. Seit Jahren spiegelt sich im Teatr Romen die Ikonografie des Soundtracks des Films »Zigeuner findet man nah des Himmels« (1975) und die der Kurzgeschichte »Zigeunerlager« von Maxim Gorki.
Neben den wichtigsten Schauspieler_innen und Regisseur_innen ist die Tänzerin Patrina Sharkozi hervorzuheben. In vielen Aufführungen des gegenwärtigen Repertoires (Stand 2017) führt sie traditionelle Roma-Tänze mit Elementen eines neoklassischen Spiels auf. In den Aufführungen wird die authentische Tracht der Rom_nja getragen: lange rote oder bunte Röcke, Kopftücher, bei Männerkostümen um die Taille gebundene Schals. Auf der Bühne kommen Tamburine hinzu, der Einsatz von Gitarren, die Projektionen von Pferden und die Bilder lebendiger Landschaften, die für die typischen Lebensräume der Rom_nja stehen. Obwohl das neue Jahrhundert kommerzielle Aufführungen bringt, deren ästhetische Basis aus traditionellen Roma-Tänzen besteht, mit dem Glamour vieler kitschiger Elemente versehen, bemüht sich das Theater Romen, einen Teil des »Kulturgedächtnisses« (Todor Kuljić, Milena Dragićević-Šešić) durch ein traditionelles Repertoirekonzept mittels authentischer Bräuche und Rituale der Rom_nja zu erhalten: Beerdigungen, Hochzeiten, Taufen sowie der Glaube an Magie und Spiritualität.
Das Teatr Romen ist ein institutionelles Staatstheater, das nach den hohen Standards funktioniert, die von Konstantin Sergejewitsch Stanislawski als Regisseur und Schauspieler gesetzt wurden. Zugleich spiegeln sich in der weltweiten Popularität dieses Theaters die Themen, Genres und Aufführungsstile des Multikulturalismus und der Interkulturalität der Rom_nja und ihrer Künstler_innen. Sie sind die wesentlichen Merkmale der nationalen Identität und Kultur der Rom_nja.
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