Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs umfasste das Gebiet des heutigen Bosnien und Herzegowina mehrere Provinzeinheiten des Königreichs Jugoslawien: Vrbas Banovina, Drina Banovina, Zeta Banovina und die Banovina von Kroatien. Diese verwaltungstechnische Zersplitterung und das Nichtdurchführen der Volkszählung von 1941 erschweren genaue Angaben zur Zahl der in diesem Gebiet lebenden Roma. Man kann aber von mindestens 4.000 ausgehen. Die meisten Roma im Gebiet des heutigen Bosnien und Herzegowina waren muslimischen oder orthodoxen Glaubens und arbeiteten in Handels- und Handwerksberufen.
Bosnien und Herzegowina
Der »Unabhängige Staat Kroatien«
Anfang April 1941 besiegten die Achsenmächte unter Führung des nationalsozialstischen Deutschen Reiches die Armee des Königreichs Jugoslawien und brachten in Zagreb die von Ante Pavelić geführte profaschistische Ustaša-Bewegung an die Macht. Der von der Ustaša ausgerufene Unabhängige Staat Kroatien (USK) umfasste auch das Gebiet des heutigen Bosnien und Herzegowina. Einige Wochen nach der Machtübernahme verabschiedete die Ustaša-Regierung Rassengesetze, mit denen bestimmten Teilen der Bevölkerung, darunter Roma, die Bürgerrechte entzogen wurden. Im Sommer 1941 wurde in einer Erhebung die genaue Zahl der Roma ebenso wie deren geografische Verteilung ermittelt. Diese Schritte bereiteten die Deportationen vor.
Widerstand muslimischer Autoritäten
Im Juli 1941 stellten sich einige lokale muslimische Führer in Bosnien und Herzegowina gegen die Registrierung der »weißen Zigeuner« (sesshafte Roma muslimischen Glaubens) und riefen religiöse muslimische Autoritäten (Majlis Ulama) zu Hilfe. Diese setzten eine gesonderte Kommission ein, die einen detaillierten Bericht an das Innenministerium des USK sandte. Darin bat sie, die Roma muslimischen Glaubens von der Volkszählung auszunehmen. Das Ministerium willigte bald darauf ein und führte eine entsprechende Sonderklausel ein. Die muslimischen Behörden protestierten deshalb, weil sie die muslimischen Roma als integralen Teil der muslimischen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina begriffen. Der Grund für die Einführung der Sonderklausel mag in der Angst der Ustaša-Behörden vor einer möglichen »Revolte« der Muslim_innen in Bosnien und Herzegowina zu sehen sein. Darüber hinaus muss erwähnt werden, dass die Verfasser des genannten Berichts erfolglos versuchten, orthodoxe Roma zu schützen. In ihrem »Bericht der Sonderkommission« verwiesen sie auf die rumänischen Wurzeln der orthodoxen Roma. Sie zu töten könnte Probleme in der Beziehung zwischen dem USK und Rumänien nach sich ziehen.
Deportation nach Jasenovac
Am 19. Mai 1942 ordneten die Ustaša-Behörden die Deportation sämtlicher Roma aus allen Gebieten des USK in das Konzentrationslager Jasenovac an. Die in diesem Zusammenhang organisierten Massendeportationen schlossen auch die muslimischen Roma aus Bosnien und Herzegowina ein. Die muslimische Gemeinschaft in Zenica reagierte darauf mit einer speziellen Erklärung, in der die besondere Stellung muslimischer Roma hervorgehoben wurde. Unterstützt von der religiösen Führung in Sarajevo gelang es mit dieser Erklärung, die Ustaša-Behörden zur Einführung einer zweiten Sonderklausel zu bewegen, mit der die Deportation muslimischer Roma gestoppt werden sollte.
Wie viele haben überlebt?
Mit Blick auf Bosnien und Herzegowina stellt sich die Frage, wie viele Roma tatsächlich gerettet werden konnten. Laut Aussage einiger Forscher_innen hielten sich die USK-Behörden nicht an die Sonderklausel zur Verschonung der »weißen Zigeuner«. Diese seien ebenso in das Konzentrationslager Jasenovac deportiert worden, wo sie gefoltert und getötet wurden. Nach Überzeugung anderer gelang es einigen »weißen Zigeunern« in manchen Gegenden, die USK-Behörden zu bestechen und so der Deportation nach Jasenovac zu entgehen. Dies wird beispielsweise von den muslimischen Roma aus Janja und Bijeljina berichtet. Auch wenn einige muslimische Roma zweifelsohne verschont wurden, wurde doch eine große Zahl von orthodoxen und römisch-katholischen Roma aus Bosnien und Herzegowina während des Krieges getötet. Das Ausmaß des Leidens lässt sich an der ersten Volkszählung der Nachkriegszeit im Jahr 1948 ablesen, in der nur 442 Roma registriert wurden, in anderen Worten: vermutlich etwa ein Zehntel der Vorkriegsbevölkerung.
»Opfer des faschistischen Terrors«
Nach dem Zweiten Weltkrieg erinnerte die sozialistische Regierung Jugoslawiens an die Roma-Opfer nur gemeinsam mit anderen Opfern. Sie alle wurden unter der Bezeichnung »Opfer des faschistischen Terrors« zusammengefasst. Bis heute gibt es keine gesonderten Gedenkveranstaltungen für Roma. Einige Roma-Organisationen nehmen an den gemeinsamen Gedenkveranstaltungen in der Gedenkanlage Donja Gradina teil.