Geteilte Gebiete
Angesichts der Niederlage der französischen Armee und des Exodus von Millionen Menschen handelte die französische Regierung am 22. Juni 1940 einen Waffenstillstand mit Deutschland aus. Frankreich behielt im Austausch gegen eine enge Kollaboration auf allen Gebieten seine Souveränität und vermied es so, ins Deutsche Reich eingegliedert zu werden. Dennoch wurde das Staatsgebiet aufgeteilt, und zwar in zwei Zonen: eine besetzte nördliche Zone und eine bis zum 11. November 1942 freie südliche Zone. Die nördlichen Departements und das Departement Pas-de-Calais wurden Belgien zugeschlagen. Die Departements Moselle, Haut-Rhin und Bas-Rhin wurden dem Deutschen Reich einverleibt. In den Frontgebieten wurde die Freizügigkeit eingeschränkt.
Vertreibung und Internierung
Im Sommer 1940 wurden Sinti und Roma aus den angeschlossenen Gebieten in die freie Zone vertrieben und dort schließlich in Internierungslager gesperrt. Am 4. Oktober 1940 ordneten die Besatzer die Internierung aller »Tsiganes« in den besetzten Gebieten an und beauftragten die Präfekten (die Repräsentanten des französischen Staates in den besetzten Departements) mit der Umsetzung dieses Befehls. Die französischen Sicherheitskräfte nahmen vor allem diejenigen fest, denen als »nomadische« Familien im April 1940 ein fester Wohnsitz zugewiesen worden war. Zeitgleich befahlen die deutschen Behörden die Vertreibung von Sinti und Roma aus den Küstengebieten, ebenso die von Juden und Ausländern. Der Großteil der »Internierungslager für Nomaden« befand sich dementsprechend im Westteil Frankreichs. Nachdem das Hauptaugenmerk seit 1941 auf die Internierung und Deportation von Juden und Kämpfern der Resistance gelegt wurde, setzten die deutschen und französischen Behörden die Massenverhaftungen nicht weiter fort.
6.500 Personen in Internierungslagern
Zwischen 1940 und 1946 waren etwa 6.500 Männer, Frauen und Kinder hauptsächlich französischer Nationalität in 30 Internierungslagern eingesperrt. In den freien Gebieten wurden ausländische »Zigeuner« in Lannemezan interniert, wohingegen diejenigen, die aus den besetzten Gebieten vertrieben worden waren, in Saliers zusammengetrieben wurden.
Die Insass_innen der Internierungslager protestierten gegen ihr Schicksal und forderten in Petitionen an die Behörden die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und ihre Freilassung. Sie flohen in Massen, wurden allerdings schnell wieder gefasst. Einige von ihnen schlossen sich der französischen Resistance an und wurden aus diesem Grund deportiert. Andere wurden zum verpflichtenden Arbeitsdienst herangezogen.
Im Laufe der Jahre wurden die meisten der Internierten entlassen. Ihnen wurde ein Wohnsitz zugeteilt und sie fanden eine feste Bleibe und Arbeit. Nur die Ärmsten verblieben bis ins Jahr 1946 hinein in Gefangenschaft. In diesen Fällen beriefen sich die neuen französischen Behörden auf das Vorurteil der Spionage und verweigerten den »Nomaden« die Freilassung. Offiziell waren die Insass_innen nicht länger interniert, sondern ihnen war ein fester Wohnsitz zugewiesen. Dies galt bis zum 10. Mai 1946, als das Dekret vom 6. April 1940 aufgehoben wurde.
Schwere Folgen für mehrere Generationen
Auch wenn die Sinti und Roma in Frankreich der Deportation und Vernichtung entgingen, hinterließen die sechs Jahre der Internierung über Generationen hinweg Spuren in den Familien. Viel zu spät wurde dieser Teil der Geschichte anerkannt. Erst 2017 wurden die diskriminierenden Gesetze von 1912 aufgehoben. Nun sind die »Tsiganes« − zumindest offiziell − vollständig in die Gesellschaft integriert.