Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt, und damit gelangte die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) an die Macht. Für die auf etwa 20.000 Personen geschätzte Minderheit der deutschen Sinti und Roma begannen Jahre einer systematischen Ausgrenzung aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Zwar waren Sinti, die seit dem 15. Jahrhundert in den deutschen Ländern gelebt hatten, und die deutschen Roma, die seit dem 19. Jahrhundert aus Osteuropa immigriert waren, schon zuvor zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt gewesen. Doch die mit dem Nationalsozialismus einsetzende rassistische Verfolgung erreichte eine bis dahin nicht gekannte Dimension.
Deutschland
Sinti und Roma als »Fremdrasse«
Die rassenpolitische Agitation zielte im Deutschen Reich zunächst auf die jüdische Bevölkerung, die mit 500.000 Personen die weitaus größte Minderheit stellte. Doch auch Sinti und Roma galten gemäß den im September 1935 verkündeten »Nürnberger Gesetzen« als »Fremdrasse«. Seit 1936 erhob die in Berlin ansässige »Rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle« umfassende Daten. In Zusammenarbeit mit der »Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens«, angesiedelt beim Reichssicherheitshauptamt, war bald die gesamte Minderheit, vom Kind bis zum Greis, rassenbiologisch erfasst. Wer einmal als »Zigeuner« in den Akten vermerkt war, hatte kaum eine Chance, der Verfolgung zu entkommen.
Seit 1935 wurden Tausende Sinti und Roma in kommunalen Zwangslagern interniert. Im Sommer 1938 verschleppte man mehrere Hundert Männer in Konzentrationslager. In dieser ersten Phase der Verfolgung standen die Durchsetzung von Berufsverboten, die räumliche Isolierung und die Ausgrenzung –zum Beispiel aus den Schulen – im Vordergrund.
Deportationen
Mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 zielte die nationalsozialistische »Zigeunerpolitik« auf eine vollständige Deportation. Zunächst wurden im Mai 1940 rund 2.500 Männer, Frauen und Kinder in das besetzte Polen deportiert. Am 16. Dezember 1942 ordnete Reichsführer-SS Heinrich Himmler die Deportation der Sinti und Roma in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau an. Der Befehl galt für das Reich und einige andere besetzte Länder. Ab Ende Februar 1943 wurden insgesamt rund 22.700 Sinti und Roma nach Auschwitz verschleppt. Davon stammten 63 Prozent aus dem Deutschen Reich (davon rund 14 Prozent aus Österreich), 21 Prozent aus dem besetzten Böhmen und Mähren sowie 6 Prozent aus dem besetzten Polen; die übrigen 11 Prozent hatten andere Nationalitäten oder galten als Staatenlose. Innerhalb weniger Monate starben Tausende an den entsetzlichen Bedingungen in Auschwitz-Birkenau. Etwa 3.000 Sinti und Roma wurden zur Zwangsarbeit in andere Konzentrationslager überstellt. In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurden die letzten Insass_innen, meist ältere und kranke Männer, Frauen und Kinder, in den Gaskammern von Birkenau ermordet.
Zwangssterilisation
Diejenigen, die nicht deportiert worden waren, sollten zwangsweise sterilisiert werden. Etwa 2.000 Sinti und Roma fielen diesem Völkermord auf Raten zum Opfer. Man schätzt, dass zwei Drittel bis drei Viertel aller deutschen Sinti und Roma während des Nationalsozialismus ermordet worden sind.
Das Deutsche Reich trug darüber hinaus die Verantwortung für den Mord an Tausenden von Sinti und Roma in den deutsch besetzten oder annektierten Ländern Europas und beeinflusste auf unterschiedliche Art und Weise auch in den kollaborierenden Staaten das Vorgehen gegen Roma.
Spätes Gedenken
Nach 1945 wurde der Völkermord über Jahrzehnte nicht anerkannt, und die Verbrechen blieben weitgehend ungeahndet. Vielen Überlebenden blieb eine Entschädigung versagt. Auch die Forschung befasste sich erst spät mit dem Thema. Ein Perspektivwechsel setzte ein, als die Bürgerrechtsbewegung gegen die fortgesetzte Diskriminierung protestierte und über den Völkermord aufklärte. Erst mit dem 2012 in Berlin eingeweihten Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma ist die Erinnerung an den Völkermord weithin sichtbar und dauerhaft in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland verankert worden.