Das besetzte Polen
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland und der darauffolgende Ausbruch des Zweiten Weltkrieges änderten dies jedoch. 1939 wurde Polen besetzt. Die von den Besatzern implementierten Verwaltungsstrukturen hatten zur Folge, dass ein Teil des polnischen Gebiets dem Deutschen Reich einverleibt wurde. Die besetzten Gebiete Polens wurden zum sogenannten »Generalgouvernement«, das sich im Lauf des Zweiten Weltkrieges mehr und mehr zum Zentrum der Vernichtung von Juden sowie Sinti und Roma entwickeln sollte. Das restliche Gebiet im Osten wurde im Oktober 1939 von der Sowjetunion annektiert und 1941 von der deutschen Wehrmacht besetzt.
Mord außerhalb der Lager
Die Vernichtung der Sinti und Roma während des Zweiten Weltkrieges auf dem Gebiet des früheren Polens wurde nicht nur in Lagern durchgeführt. Dies unterschied die Situation von der in anderen Ländern. Während der Jahre 1942 und 1943 fielen im Generalgouvernement einige Tausend, zumeist polnische Roma und Sinti den SS-Einsatzgruppen zum Opfer. Sie starben dort, wo sie aufgegriffen wurden. Die Einsatzgruppen ermordeten sowohl Einzelpersonen als auch mit Wohnwagen reisende Gruppen und begruben die Leichen im Wald. Auch die ortsansässigen Sinti und Roma fielen derartigen Ermordungen außerhalb der Lager zum Opfer. Ein Beispiel ist etwa der Massenmord von Szczurowa in Südpolen. Dort wurden im Juli 1943 von der deutschen Polizei 93 Sinti und Roma erschossen.
Internierung in Ghettos
Im besetzten Polen war es üblich, Roma und Sinti in den für die jüdische Bevölkerung errichteten Ghettos zu internieren. Von dort wurden sie anschließend, wie die Juden auch, in die Vernichtungslager in Treblinka, Majdanek, Sobibor und Belzec deportiert. Diese Internierungen in Ghettos wurden durch entsprechende Erlasse der Behörden und der Polizei initiiert. Derartige Anordnungen wurden etwa vom Starost des Warschauer Bezirks ebenso erlassen wie vom Chef der Warschauer Polizei. Aus dem Warschauer Ghetto wurden Sinti und Roma gemeinsam mit Juden nach Treblinka deportiert, wo sie in den Gaskammern getötet wurden.
»Zigeunerlager« in Auschwitz-Birkenau
Am 26. Februar 1943 erreichte der erste Transport mit Sinti und Roma das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, wo sie im »Zigeunerlager«, einem separaten Lagerabschnitt, untergebracht wurden. Sinti und Roma aus Deutschland und Österreich machten mit über 14.000 Menschen den größten Teil aus, etwa 1.300 waren polnischer Nationalität.
Doch bereits seit Juli 1941 – also schon vor der Errichtung des sogenannten »Zigeunerlagers« – waren Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert worden. Nach den verfügbaren Quellen handelte es sich dabei um etwa 370 Menschen. Diese Gruppe von Sinti und Roma kam aus dem von den Deutschen besetzten Polen, aus dem Protektorat Böhmen und Mähren und aus den deutschen Gebieten. Ihnen wurden Häftlingsnummern aus der sogenannten »allgemeinen Nummernserie« gegeben.
Das »Zigeunerlager« in Auschwitz-Birkenau wurde in der Nacht des 2. August 1944 aufgelöst. Die Insass_innen wurden in den Gaskammern ermordet. Insgesamt starben in Auschwitz-Birkenau etwa 20.000 Sinti und Roma aus zwölf Ländern.
Die Zahl der ermordeten polnischen Sinti und Roma schwankt zwischen 10.000 und 35.000. Donald Kenrick und Grattan Puxon gaben 1995 die Zahl von 13.000 Opfern an.
Gedenken
Die erste Gedenkzeremonie zur Erinnerung an die Vernichtung der Roma und Sinti fand im kommunistischen Polen statt. 1966 wurde auf Betreiben der lokalen Behörden ein Monument zu Ehren der Opfer des Massenmords von Szczurowa errichtet. Weitere Gedenkveranstaltungen wurden nach dem Ende des Kommunismus 1989 organisiert und hauptsächlich von polnischen Roma initiiert. 1993 wurde zum ersten Mal der Liquidation des »Zigeunerlagers« gedacht, 2014 wurde in Treblinka ein Gedenkstein enthüllt. Und 2016 wurde ein Mahnmal zum Gedenken der in Kulmhof (Chełmno-on-Ner) ermordeten österreichischen Roma und Sinti eingeweiht.