Neue Grenzen unter der deutschen Besatzung
Nach der Besatzung wurde die Ukraine von den Deutschen in mehrere unterschiedlich verwaltete Gebiete aufgeteilt. Der größere Teil östlich des Flusses Dnjepr blieb der Wehrmacht unterstellt. Westlich des Dnjepr wurden sechs Generalbezirke geschaffen und als Reichskommissariat Ukraine (RKU) einer Zivilverwaltung unterstellt. Der Bezirk Galizien (die Provinzen der Westukraine) wurde Teil des »Generalgouvernements für die besetzten polnischen Gebiete«, das die Deutschen 1939 auf polnischem Gebiet errichtet hatten. Der südwestliche Teil der Vorkriegsukraine wurde 1941 von Rumänien besetzt. Diese Gebiete zwischen den Flüssen Dnister und Bug bildeten nun das sogenannte Gouvernement Transnistrien. Als ein weiteres, kleineres und von Ungarn besetztes Gebiet kam schließlich Transkarpatien hinzu.
»Zigeuner sind im Allgemeinen wie Juden zu behandeln«
Im Herbst/Winter 1941 kam es in den von den Deutschen besetzten Gebieten zu einer ersten Welle von Ermordungen. Ihr fielen unter anderem Roma mit Wandergewerbe zum Opfer, die von der Wehrmacht und den SS-Polizeieinheiten aufgegriffen wurden, darunter Kiewer Roma, die in Babyn Jar ermordet wurden. Ab dem Frühjahr 1942 wurde die separate Registrierung aller Roma auf dem Gebiet des RKU vorgesehen. »Zigeuner sind im Allgemeinen wie Juden zu behandeln«, hieß es zudem in einer von der obersten Leitung des RKU erlassenen Order. Roma wurden wie Juden aus der Sozial-, Arbeits- und Gesundheitsgesetzgebung ausgeschlossen. Noch während die Zivilverwaltung des RKU sich über das weitere Vorgehen verständigte, ermordeten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes sowie weitere Sicherheitseinheiten (formal Teil der Zivilverwaltung, de facto aber der höhergestellten SS-Polizeiführung unterstellt) auf lokaler Ebene beinahe überall Roma, und zwar ohne Rücksicht auf deren gesellschaftlichen Status. Dies war die zweite Tötungswelle. Es gab keine Deportationen in Vernichtungslager, die Opfer wurden vor Ort in ihren Siedlungen erschossen.
Transnistrien und Transkarpatien
Im von Rumänien kontrollierten Transnistrien starben viele dort beheimatete Roma ebenso wie Roma, die 1942 aus Rumänien, Bessarabien und der Bukovina dorthin deportiert worden waren, an Hunger, Kälte und Krankheiten. Die genaue Zahl der Roma, die in den separaten Lagern starben oder in den Tod in ungarische Internierungslager oder deutsche Konzentrationslager geschickt wurden, ist unbekannt.
Wie viele wurden ermordet?
Statistiken sind schwierig zu erheben, da für die einzelnen besetzten Provinzen verlässliche Zahlen fehlen. Nach aktuellen Schätzungen starben innerhalb der heutigen ukrainischen Grenzen während des Krieges mehr als 20.000 Roma. Etwa die Hälfte davon war aus Rumänien in die Ukraine deportiert worden. Doch selbst diese Schätzung stellt nur einen Näherungswert dar, da sie nur die dokumentierten Tötungen berücksichtigt.
Wenig Aufmerksamkeit für den Völkermord an den Roma
2004 schuf das ukrainische Parlament die Grundlage für ein Gedenken an den Völkermord an den Roma und führte den »International day of the Roma Holocaust« (sic!) ein. Dennoch wurden die angekündigten Schritte nur selten umgesetzt. In der historischen Forschung in der sowjetischen und postsowjetischen Aufarbeitung wurde das Schicksal der Roma nie gesondert behandelt. Die falsche Überzeugung, Roma seien massenhaft ermordet worden, weil es sich bei ihnen um »asoziale Elemente« handele, hielt sich hartnäckig. Eine solche Überzeugung bedeutet jedoch eine Übertragung der Schuld an die Opfer. In aktuellen Geschichtsbüchern wird der Völkermord an den Roma nur kurz erwähnt und die rassistische Ausrichtung der nationalsozialistischen Politik nicht eigens hervorgehoben. Das Schicksal der Roma wird externalisiert: Es wird eher als Teil der allgemeinen Geschichte begriffen – und eben nicht als Teil der ukrainischen Vergangenheit.
Beinahe alle Mahnmale für die ermordeten Roma wurden durch die Initiative von Nichtregierungsorganisationen ermöglicht. Die Rolle der Staatsorgane beim Gedenken beschränkte sich dagegen darauf, entsprechende Genehmigungen zu erteilen und an Einweihungszeremonien teilzunehmen.