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Paola Toninato

Roma-Literatur in Italien: ein Überblick

Aufgrund des diasporischen Charakters der Roma-Sprachgemeinschaft ist Romanes eine höchst zersplitterte Sprache – ein Merkmal, das das literarische Feld entscheidend bestimmt. Roma-Literatur wird von Autor_innen geschrieben, die eine gemeinsame Herkunft besitzen und unabhängig von Landesgrenzen in unterschiedlichen Sprachen und Dialekten schreiben. Sie bedienen sich dabei einer großen Bandbreite von Genres wie beispielsweise Transkriptionen mündlich überlieferter Erzählungen, autobiografische Berichte, Memoiren, Romane, Kurzgeschichten, Dramen, Theaterstücke und Gedichtsammlungen.

Roma-Literatur in Italien spiegelt die große strukturelle und sprachliche Diversität der Roma-Literatur im Allgemeinen wider. Sinti und Roma besitzen auch in Italien eine alte und lebendige orale Tradition, die von einigen Anthropolog_innen (Dick-Zatta 1986; Trevisan 2005) und Sprachwissenschaftler_innen (Sejdić und Soravia 1978, 1980) dokumentiert wurde. Die Fachzeitschrift »Lacio Drom« veröffentlichte einige dieser mündlich überlieferten, teils erfundenen, teils wahren oder autobiografischen Erzählungen.

Frühe Beispiele der Roma-Literatur sind Transkriptionen mündlich überlieferter Geschichten und Erinnerungen. 1975 erschien unter dem Titel »Tzigari« (›Zigeuner‹) Giuseppe Levakovichs Autobiografie, die er gemeinsam mit einem Nicht-Roma-Autor verfasste. Ein weiteres Beispiel für eine solche Zusammenarbeit zwischen einem Roma-Autor und einem Nicht-Rom ist »I Kañjarija: Storia vissuta dei Rom Dasikhanè in Italia« (›Die Kañjarija: Geschichte der Dasikane-Rom_nja in Italien‹) (Dragutinovic, 2000).

Seit einigen Jahrzehnten lässt sich bei den italienischen Roma-Autor_innen eine Zunahme der literarischen Produktion verzeichnen, vor allem bei den Roma aus den Abruzzen (Santino Spinelli und Luigi Cirelli), den Sinti_ze (Paula Schöpf-Bloom, Vittorio Mayer Pasquale, Olimpio Cari, Gnugo de Bar, Floriano Debar und Pućo), den slowenisch-kroatischen und den istrischen Rom_nja (Nada Braidic, Pamela Hudorovic und Mansueto Levacovich).

Santino Spinelli ist ein Rom aus den Abruzzen in Italien, Musiker, Dichter, Lehrer und Essayist. Er hat einen Abschluss in modernen Fremdsprachen …

Für einige Roma-Autor_innen ist die Schriftstellerei eine Möglichkeit, ihrer ethnischen Identität Ausdruck zu verleihen. Dazu zählen Luigi Cirelli und Mansueto Levacovich, aber auch Sinti-Autor_innen. Cirelli veröffentlichte 1994 den Gedichtband »Senza meta« (›Ohne Ziel‹). Seine Poesie ist ein einziges Loblied auf seine ethnische Herkunft und behandelt die Liebe in all ihren Facetten. Doch das eigentliche Hauptthema ist das konfliktbeladene Verhältnis zwischen Rom_nja und Nicht-Rom_nja. Der Dichter verurteilt die verlorene Freiheit der Rom_nja und die gleichgültige Haltung der Mehrheitsgesellschaft. Für ihn ist Dichtung die einzige Kommunikationsform, die es vermag, die scheinbar unüberbrückbare Kluft zwischen den Ethnien zu schließen.

1991 veröffentlichte der istrische Rom Mansueto Levacovich die Anthologie »Popolo mio dei Rom« (›Mein Volk, die Rom_nja‹), womit erstmals die Literatur von in Norditalien lebenden slowenisch-kroatischen Rom_nja in Erscheinung tritt. Die Autor_innen verurteilen in ihren Arbeiten scharf den vollständigen Mangel eines Dialogs zwischen Rom_nja und Nicht-Rom_nja, die von einer Barriere aus Hass und Vorurteilen getrennt werden. Levacovich kämpft als Dichter für die Menschen- und Bürgerrechte der Rom_nja. Ein weiterer Autor, der sich politisch engagiert, ist Demir Mustafa (1960 in Skopje geboren und gegenwärtig wohnhaft in Florenz). Seine Gedichte und Kurzgeschichten sind 2002 unter dem Titel »Poesie e racconti« (›Gedichte und Geschichten‹) erschienen.

Einige Roma-Schriftsteller_innen aus dem ehemaligen Jugoslawien veröffentlichten ihre Bücher in Italien, wie zum Beispiel Rasim Sejdić, Šemso Advić, Antun Blažević und andere. Rasim Sejdić (1943–1981), ein talentierter Dichter und Erzähler, der der bosnischen Xoraxané-Gruppe angehörte, veröffentlichte 1987 den Gedichtband »Rasim, poeta zingaro« (›Rasim, ein Zigeunerdichter‹). Seine Erzählungen (Fabeln, Geschichten von Toten, Geistern und Vampiren, außerdem Fantasy-Geschichten), aufgezeichnet und gesammelt von Giulio Soravia, wurden in der Zeitschrift »Lacio Drom« veröffentlicht. Šemso Advić, ein in Banja Luka (Bosnien) geborener Dichter, veröffentlichte seinen ersten Gedichtband »Poesie« 1985. Sein nächstes Buch, »Ratvaról iló romanó« / »Sanguina il cuore dei Rom« (›Das Herz der Rom_nja blutet‹), erschien 1993. Advićs Poesie widmet sich nicht nur den klassischen Themen der Roma-Literatur, sondern auch bestimmten geschichtlichen Ereignissen wie der Tragödie des Krieges im ehemaligen Jugoslawien.

Die gegenwärtig wachsende Anzahl der Roma-Autorinnen in Italien ist besonders auffällig. Die Schriftstellerinnen nehmen sich vor allem der vergessenen Aspekte der Roma-Vergangenheit an, erzählen aber auch Einzelschicksale, die meistens jedoch von den kollektiven Erfahrungen ebenfalls stark beeinflusst sind. Ein besonders aussagekräftiges Beispiel dafür ist das Werk von Paula Schöpf-Bloom. Sie wurde 1953 in Bozen geboren, zählt sich selbst zu den Sintize und lebt in Norditalien und Deutschland. Ihre Gedichte zeichnen ein kraftvolles Bild der komplexen Situation der Frauen in der Roma-Gesellschaft, gleichzeitig aber widmen sie sich umfassenderen sozialen Themen, die die Sinti und Roma im Allgemeinen betreffen. Die Dichterin beklagt die marginale Rolle und die Ausschließung, die ihre Gemeinschaft ertragen muss, und beklagt das Fehlen einer eigenen Stimme in der Öffentlichkeit, vor allem in ihren Gedichtbänden »La mendicante dei sogni« (›Die Bettlerin der Träume‹, 1997) und »Voci nel vento / Draußen am Rand« (2008). Besonders intensiv sind die Verse des Gedichts »Bistardi Laida« (›Vergessener Holocaust‹), mit denen sie die unbeschreiblichen Ereignisse des Holocausts heraufbeschwört.

Silence, desolation, dark night
the sky is gloomy, heavy with silence!
the mournful dirge fills the air!
From these stones, grey stones,
from every debris, from the shattered frames,
a desperation made of blood and tears rises.
My spirit gets caught up in the wire fences
And my soul clings to the bars,
prisoner in the enemy’s house!
Who am I? Nobody! Who are you? Nobody!
Sinti, who are you? Nobody! Only shadows,
fog! Fog that idle customs hold back
as prisoner of the greatest infamy
in the history of mankind!

Paula Schöpf-Bloom, »Bistardi Laida« (›Vergessener Holocaust‹)

Quelle: Auszug aus dem Gedicht »Bistardi Laida« (›Vergessener Holocaust‹) von Paula Schöpf (1993) in der englischen Übersetzung von Paola Toninato (2014, 104).

Schöpf, Paula. 1993. Bistardi Laida. In: Karpati, Mirella (Hg.).1993. Zingari ieri e oggi. Roma: Centro Studii Zingari: 208.

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