In Spanien scheinen Roma Teil der Kultur und Literatur des Landes zu sein: Gitanos sind in Musik und Tanz (Flamenco) ebenso präsent wie in der bildenden Kunst (z.B. bei Bartolomé Esteban Murillo, 1618-1682) und der Literatur (z.B. Miguel de Cervantes Saavedra, 1547-1616, oder Federico García Lorca, 1898-1936). Zudem ist in Spanien der Anteil an Roma, die sprachlich vollständig assimiliert und kulturell wie sozial in die Mehrheitsgesellschaft zumindest selektiv-partiell akkulturiert sind (Bernecker 2007: 295), im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern relativ hoch.
Roma-Literatur in Spanien – ein Überblick
Das caló (I kali ćhib), die Romanes-Variante der iberischen Roma, wird gegenwärtig kaum noch gesprochen, und das Spanische stellt damit für die calé, wie sich die Mehrheit der seit Jahrhunderten in Spanien ansässigen Roma nennen, eine vertraute »fremde« Muttersprache dar, in der sie sich zu Hause fühlen und auch künstlerisch-literarisch artikulieren. Spanisch schreibende Roma, die als Mittler ganz bewusst kulturell-ethnische Grenzen zwischen umgebender Gesellschaft und eigener Community überschreiten, stellen aber im Gegensatz zur mehrheitsgesellschaftlichen Bearbeitung des Motivs des gitano dennoch die Ausnahme dar und bilden – wie in anderen europäischen Ländern – auch innerhalb der ethnischen Minderheit eine soziokulturelle Minorität.
Geschriebene Roma-Literatur ist auch in Spanien eine recht junge Literatur, die erst vor rund hundert Jahren einsetzte. Als erster spanisch schreibender Roma-Autor gilt gemeinhin der 1905 in Sevilla (Südspanien) geborene Künstler Helios Gómez. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen (z.B. Joaquín Albaicín oder José Heredia Maya) ist die Literatur aus der Feder von Roma aber bis heute eine fast unsichtbare, stark dezentralisierte und randständige Literatur. Einen erfreulichen Sonderfall stellt der Debütroman von Spaniens erster publizierender Romni gitana dar: Núria L. de Santiagos biofiktionaler Roman »El ángel de Mahler« (Barcelona 2014) erfreute sich großen medialen Echos in der spanischen Presse.
Für ein Interview mit der Autorin siehe Perma link
Ob Roman, Erzählung, Drama oder Lyrik: Literarische Werke von Roma-Autoren weisen allesamt gewisse stilistisch-ästhetische Gemeinsamkeiten auf. So etwa die Tendenz zur Mündlichkeit, eine vergleichsweise hohe Dialogizität, die Integration von caló-Wörtern, eine grundsätzliche Tendenz zur Vermischung unterschiedlicher Textsorten, Gattungen, Genres und Medien sowie die Verschmelzung von künstlerisch-ästhetischen Traditionen der 1
Im Selbstverständnis von Roma-Autoren wie etwa José Heredia Maya, die sich explizit gegen jegliche Form ethnischer Ausgrenzung verwehren, ist Literatur spanischer Roma Teil der Literatur Spaniens:
»Si escribimos en español hay una literatura española, con modulaciones personales, de estilo, de cultura... pero no se puede hablar en sentido estricto de una literatura gitana si no hay una lengua que la soporte.«
»Wenn wir spanisch schreiben, wird es spanische Literatur, mit persönlichen Modulationen, im Stil, in der Kultur... aber man kann nicht von einer Roma-Literatur im eigentlichen Sinne sprechen, wenn es keine Sprache gibt, die diese trägt.«
Heredia Maya zit. n. Rodríguez Mata 2000: 16
Diese Position vertritt auch Núria L. de Santiago: Als Tochter der berühmten Flamencolegende La Chana geht sie zwar ganz bewusst offen mit ihrer Herkunft als Romni um, hebt aber immer wieder hervor, in erster Linie Autorin zu sein, die sich gerade nicht mit der Identität oder den Problemen der Roma auseinander setzt, sondern sich wie mit ihrer fiktional-romanesken Biografie über Gustav Mahler in einen gegenwärtigen Trend der (spanischen) Mehrheitsliteratur einschreiben will.
Während sich immer wieder der Wunsch nach Gleichbehandlung und der Kampf gegen persistente Stereotype manifestiert, so erteilen viele Werke zugleich jedoch eine klare Absage an eine vollständige Akkulturation. Ein Widerspruch, der vielfach (etwa bei Pedro Amaya) darin zum Ausdruck gebracht wird, dass die Gleichheit aller Menschen im Sinne eines Weltbürgertums propagiert wird (man denke hier an den programmatischen Titel von Amayas Lyrikband »El mundo es mi casa«, wörtlich »Die Welt ist mein Heim«), im selben Atemzug jedoch die Alternität der Roma-Kultur betont wird:
»Que se den cuenta de que somos hombres. Y gitanos, pero gitanos de verdad (...).»
»Die anderen sollen endlich merken, dass wir Menschen sind. Und dass wir Roma, wirkliche Roma sind.« 2
Luis Giménez Mendoza 1969: 114
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